Das Ding an sich

Teil 2: Das Universum als Gedankenexperiment

2. Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

2.1 Die Geschichte vom Magier

Es gab einmal einen jungen Prinzen, der an alles glaubte, nur nicht an Prinzessinnen, an Inseln und an Gott. Diese drei Dinge gab es nämlich nicht im Reich seines Vaters und da dieser Existenz grundsätzlich verneinte, glaubte der Prinz seinem Vater.

Wie der Zufall es will, verirrte sich eines Tages der Prinz im Nachbarland und er sah zu seinem Erstaunen vor dessen Küste Inseln mit seltsam beunruhigenden weiblichen Wesen, die er nicht zu bezeichnen wagte. Als ihm ein Mann in voller Abendgala entgegen kommt, fragt er diesen, ob es sich tatsächlich um Inseln und bei diesen Wesen um Prinzessinnen handeln würde. Der Herr bejahte und der junge Prinz rief aus: „Dann muß es auch Gott geben!“ „Er selbst sei Gott“ antwortete der Mann in Abendgala und ging seines Weges.

Der Prinz kehrte so schnell wie möglich zu seinem Vater zurück und machte ihm Vorwürfe. „Ich habe Inseln gesehen, ich habe Prinzessinnen gesehen und ich habe Gott gesehen.“

Der König war ungerührt.

„Weder gibt es wirkliche Inseln, noch wirkliche Prinzessinnen noch einen wirklichen Gott.“

„Ich habe sie gesehen!“

„Sag mir wie Gott gekleidet war.“

„Gott trug volle Abendgala.“

„Waren die Ärmel seines Fracks hochgeschlagen?“

Der Prinz entsann sich, daß sie es gewesen waren. Der König lächelte.

„Das ist die Kleidung eines Magiers. Du bist getäuscht worden.“ Daraufhin kehrte der Prinz ins Nachbarland zurück und stellte den Herrn in Abendgala zur Rede.

„Mein Vater, der König, hat mir gesagt, wer Sie sind, Sie haben mich letztes Mal getäuscht, diesmal aber nicht. Jetzt weiß ich, das daß keine echten Inseln und echte Prinzessinnen sind, denn Sie sind ein Magier.“

Da lächelte der Herr und meinte, daß sein Vater ein noch viel größerer Magier sei, denn es gäbe in dessen Reich auch Inseln und Prinzessinnen, die der Prinz unter seines Vater’s Bann aber nicht sehen könnte.

Der Prinz kehrte zum Vater zurück. „Stimmt es, daß Du kein echter König bist, sondern nur ein Magier?“

Der lächelte und schlug seine Ärmel zurück.

„Ja, mein Sohn ich bin nur ein Magier.“

„Dann war der Herr am anderen Strand Gott?“

„Nein, der Herr am anderen Strand war nur ein anderer Magier.“

„Ich muß die Wahrheit wissen, die Wahrheit jenseits der Magie.“

„Es gibt keine Wahrheit jenseits der Magie.“

Verzweifelt will sich der Prinz umbringen. Durch einen Zauber läßt der König den Tod erscheinen, der dem Prinzen zuwinkt. Der Prinz erschauert und erinnert sich der schönen, aber unwirklichen Inseln und der unwirklichen, aber schönen Prinzessinnen.

„Also gut“, sagt er, „ich kann es ertragen.“

„Du siehst, mein Sohn”, sagt der König,” auch du beginnst, ein Magier zu werden.“

 

2.2 Die Sinne täuschen uns

Wenn wir morgens aufwachen, klingelt möglicherweise der Wecker, Straßen­lärm dringt herein, die Sonne blendet. Vielleicht schleckt der Hund uns zärtlich durchs Gesicht, erfrischt uns die Dusche und sättigt uns das Frühstück mit Brötchen und duftendem Kaffee. Gewohnte Eindrücke aus der Wirklichkeit, die uns alle mehr oder weniger umgibt.

Aber ist die Wirklichkeit auch objektiv so beschaffen wie sie uns erscheint? Konkret gefragt: Ist die Welt tatsächlich laut, bunt, gegenständlich, warm oder kalt? Ist sie überall drei­dimen­sio­nal strukturiert, verläuft die Zeit gleichmäßig wie ein Uhrwerk, herrscht Ordnung statt Chaos? Das sind Fragen, die uns normalerweise befremden. Schließlich kann sich jeder davon über­zeu­gen, daß die Welt farbenfroh ist, wenn er die Augen aufmacht; laut, wenn er zuhört; gegen­ständ­lich wenn er die Dinge anfaßt, usw. Und daß wir alle einschließlich der Sterne in einem Raum stecken, in dem die Zeit wie der Sand in einer Eieruhr zu Boden fällt und damit gleichermaßen vergeht, daran dürfte doch kein Zweifel bestehen.

Gezweifelt an dieser landläufigen Vorstellung haben als Erste die Philosophen. Einige von ihnen nehmen sogar an, daß die Welt als Ganzes nur als Komplex von Vorstellungen oder Ideen in unserem Bewußtsein existiert, in Wirklichkeit aber nicht. Auch die fernöstlichen Religionen und andere esoterische Lehren behaupten wie gesagt, daß die Welt nur Maya, d.h. Illusion ist.

Gut, setzen wir diesen Standpunkt einmal voraus und fragen uns, wie die Wirk­lich­keit nach den Erkenntnissen unserer Wissenschaft beschaffen ist.

Begin­nen wir mit dem, was uns visuell übermittelt wird. Beim Sehen spielen eigentlich drei Faktoren eine entscheidende Rolle. Einmal der Gegenstand, den wir erblicken; dann die Netz­haut mit ihren lichtempfindlichen Zellen und der Verrechnungsapparat in der Sehrinde unseres Gehirns. Für uns wird ein Gegen­stand dann sichtbar, wenn er eine bestimmte Art elektro-magnetischer Wellen aussendet. Diese Wellen werden z.B. von einer Glühbirne erzeugt, brechen sich an seiner Oberfläche und werden in einem bestimmten Rhythmus von der Netz­haut aufge­nommen. Dort, in den Sehzellen, werden die ankommenden Sig­nale zusammen mit Millio­nen anderer in chemisch-elektrische Impulse über­tragen und an die Sehrinde im Gehirn weiter­geleitet, wo das Bild für uns ent­steht.

Der Witz ist nun dabei der, daß das Bild, das wir in unserem Kopf sehen, keineswegs mit dem tatsächlichen „Bild“ übereinstimmt. In der Realität gibt es nämlich kein Licht, weder hell noch dunkel noch irgendwelche Farben. Es gibt nur die erwähnten elektromagnetischen Wellen, die sich einzig und allein in ihrer Wellenlänge unterscheiden (vgl. Ditfurth, H.v.: Wir sind nicht nur von dieser Welt, Hamburg 1981, S. 156). Wir „sehen“ die Farbe „rot“, wenn die Wel­len­­länge 700 millionstel Millimeter beträgt und „blau“ wenn sie bei 300 million­stel Millimeter liegt. Objektiv gesehen hat dieser Unterschied in der Wellenlänge mit unseren verschiedenen Farberlebnissen jedoch nichts zu tun.

Um es noch einmal zu betonen: Es gibt in der Realität keine Farben. Es gibt über­haupt kein Licht. Unser Erkenntnisapparat für visuelles Empfinden täuscht uns lediglich eine derartige Wahrnehmung vor. Das Bild in unserem Kopf ist kein Abbild der Wirklichkeit, sondern eine Illusion.

Und wie sieht die Welt wirklich aus? Darüber haben wir keine Vorstellung. Wir können uns keine Welt vorstellen, die weder hell noch dunkel oder farbig ist. Und doch existiert sie vor unseren Augen. Diese Erkenntnis ist faszinierend und erschütternd zugleich, denn sie ist der erste Baustein dafür, daß wir selbst die Verursacher unserer Wirklichkeit sind.

Unser visuelles Empfindungsvermögen hat jedoch noch weitere Schwachstellen, die den Glauben an unsere subjektive Wirklichkeit ins Wanken bringen. So kann das Gehirn nicht mehr als 50 Informationen pro Sekunde verarbeiten. D.h. alle schnelleren Bewegungen können wir als solche gar nicht mehr unterscheiden. Sie zerfließen zu einer einheitlichen Bewegung wie beim Film oder werden wie eine Pistolenkugel erst gar nicht bemerkt (es sei denn, sie trifft). Räder mit Spei­chen sehen bei Bewegungen so aus, als ob sie nur aus dem Reifen bestehen würden; eine in Drehung versetzte Geldmünze erscheint so, als ob sie sich in Ruhestellung befinden würde und Vögel bleiben scheinbar regungslos in der Luft stehen.

So wie schnelle Bewegungen vom Gehirn nicht erkannt werden, ist es auch nicht in der Lage, besonders kleine oder weit entfernte Strukturen zu erkennen. Der Blick in die Ferne scheitert je nach witterungsbedingten Sichtmöglichkeiten an der Unfähigkeit unserer Augen, entlegende Gegenstände ausreichend aufzu­lö­sen. Die Welt löst sich buchstäblich im Dunst auf.

Bei kleinen Strukturen wird dieser Mangel noch deutlicher. Eine Zelle ist schon für das bloße Auge nicht sichtbar, geschweige denn die phantastische Welt in ihr mit ihren Millionen Molekülen, die in kürzesten Zeitabständen (tausendstel und millionstel Teil einer Sekunde) miteinander reagieren.

In einem Kubikzentimeter Sauerstoff befinden sich sage und schreibe 27 Trillio­nen Moleküle, die in einer Kette hintereinander 20 mal um den Erdball gezogen werden können. Noch extremer werden die Verhältnisse im atomaren Bereich. Hier sind Reaktionszeiten von billionstel Teilen einer Sekunde an der Tages­ordnung und die Größenordnung liegt bei einem hunderttrillionstel Teil (10 hoch -14) eines Zentimeters.

Wenn wir uns nicht der Krücke eines Elektronenmikroskops bedienen würden, mit dem wir den Rand dieser Mikrowelt beobachten können, wäre uns diese Zo­ne vollkommen verschlossen. D.h. der wesentliche Teil unserer Wirklichkeit, schließ­lich bestehen wir aus Atomen, Molekülen und Zellen, würde sich außerhalb unserer Wahrnehmung befinden bzw. kann tatsächlich nur indirekt erschlossen werden.

Verlassen wir nun den visuellen Bereich und untersuchen als nächsten den Gehör­sinn. Täuscht er uns auch eine Wirklichkeit vor, die es nicht gibt? In der Tat, gäbe es keine Ohren, die hören könnten, dann gäbe es auch keine Geräu­sche. Töne existieren genausowenig wie bunte Bilder, sie sind wie elektro­mag­netische Wellen nur Schwingungen der Luft, d.h. genauer gesagt, perio­disch auftretende Luftdruckschwankungen, die sich wellenförmig vom Or­te ihrer Entstehung gleichmäßig fortpflanzen.

Wenn wir in einem Konzertsaal sitzen und verzückt den aufbrausenden Orchesterklängen lau­schen, an den Lippen eines wortgewaltigen, charismati­schen Politikers hängen oder die zirpen­den Lockrufe einer in Hochzeitsstimmung befindlichen Grille vernehmen, dann ist uns vermutlich wenig bewußt, daß diese Geräuschvielfalt lediglich eine subjektive Interpretation unserer Gehörnerven ist. Es ist nichts weiter als bewegte Luft, die wir, wenn sie in langen Wellen auf un­ser Trommelfell treffen, als tiefe Töne empfinden und in kurzen Wellen als hohe.

Dabei ist es auch hier so, daß wir beispielsweise besonders kurze Wellen und damit hohe Töne, mit denen sich u.a. die Fledermäuse orientieren, gar nicht wahrnehmen und besonders tiefe Töne ebensowenig.

Bestimmte Tonschwingungen haben außerdem noch Nebeneffekte, die mit den Geräuschen wenig zu tun haben. So hat zum Beispiel das Vibrato, eine Eigen­schwingung des Tones, eine eigenartige sinnliche Wirkung, die im Viktoria­ni­schen Zeitalter auch als erotisch und damit als sündig eingestuft und deshalb von den damaligen Sängern nach Möglichkeit unterdrückt wurde. Diese „ge­fähr­liche“ Qualität des Vibrato erklärt sich vielleicht damit, daß seine Frequenz, etwa sieben Schwingungen pro Sekunde, genau den Thetawellen des Gehirns entspricht.

In diesem Zustand, der normalerweise zwischen Wachen und Schlafen eintritt, drängen sich spontan lebhafte Bilder ins Bewußtsein, die unter Umständen schon Künstler und Wissenschaftler zu kreativen Leistungen inspiriert haben. So berichtet Leonhard von einer Vision Poincares, die er im Bett vor dem Ein­schlafen hatte:

„Mathematische Formeln tanzten vor seinen Augen in den Wolken, stießen zusammen und verschmolzen zu dem ersten Satz der Fuchsschen Funktionen, der Lösung eines Problems, mit dem er lange gerungen hatte.“ (Leonhard, G.: Der Rhythmus des Kosmos, Bern 1983, S. 16)

Der Zauber der Musik, der seine Zuhörer in den Bann schlägt, könnte in diesem resonanz­erzeugenden Vibrato liegen und damit letztlich eine fast banale Ur­sache haben. Wie dem auch sei, wir sollten uns von dem Glauben befreien, daß Töne an sich existieren. In der Wirklichkeit ist unsere Welt stumm.

Kommen wir nun zum Begriff der Gegenständlichkeit, den wir u.a. mit unserem Tastsinn erforschen. Dieser Sinn scheint noch am ehesten die Wahrheit über unsere Wirklichkeit zu ver­mitteln. Wenn wir einen Gegenstand in der Hand halten, können wir sicher sein, daß er existiert.

Ist das wirklich so? Zumindest die Beschaffenheit dieses Gegenstandes ist häufig nicht so eindeutig erkennbar, wie wir es uns wünschen mögen. Vor allem, wenn Gefühle mitspielen, wird aus der Mücke buchstäblich ein Elefant. Wer kennt nicht den Geisterbahneffekt, wenn er im Dunkeln plötzlich berührt wird oder nachts im Wald unvermutet auf einen morschen Ast tritt? Ein Gegenstand kann sich weich und sympathisch anfühlen, im nächsten Moment schreckt man jedoch vor ihm zurück. Trägt das Eis oder nicht? Wenn man Angst hat, wird man eher annehmen, daß es nicht trägt als umgekehrt.

Wieweit ist also unserem Tastsinn zu trauen? Eine objektive Information über die Be­schaffenheit der Umwelt erhalten wir durch ihn sicher nicht. Je nach Gefühls­zustand, der Situation und was wir über anderen Sinne vermittelt bekommen, interpretieren wir die Eindrücke, die uns dieser Sinn zur Verfügung stellt.

Als letztes wollen wir noch den Geruchs- bzw. den Geschmackssinn an­spre­chen. Auch die Düfte existieren in der Wirklichkeit genauso wenig wie der Ge­schmack bestimmter Nahrungs­mittel. Sie sind Erfindungen unseres Gehirns, die je nach Stimmung und Situation unterschiedlich ausgelegt und verwertet werden. Duftträger sind Moleküle, die sich von anderen kaum unterscheiden. Daß wir die einen als angenehm, andere als widerlich und wieder ander über­haupt nicht empfinden, bzw. riechen liegt nicht in der Natur der Umwelt begründet, sondern in der Wahrnehmung und Bewertung durch unser Gehirn.

Es ist wie bei den optischen Informationen. Ob wir nun sagen, die Welt ist grün oder sie ist voller Rosenduft, bleibt vom Wahrheitsgehalt her gesehen gleich. In beiden Fällen handelt es sich um eine subjektive Auslegung, die in dieser Form nicht mit der Realität übereinstimmt. Auch ob etwas sauer oder süß schmeckt, ob ein Stück Fleisch bekömmlich ist oder ein Pilz genießbar ist, richtet sich danach, was unser Körper benötigt und was er verdauen kann. Für einen anderen Men­schen und erst recht für ein Tier kann diese Sinnesempfindung ganz anders sein.

Diese Kette von Sinnestäuschungen kann weiter fortgesetzt werden. Wir haben oft Schmerzen, wo es keine objektive Erklärung dafür gibt, wie z.B. den Phan­tom­schmerz, der nach Amputationen auftritt. Wozu das alles? Warum gibt sich unser Gehirn eine solche Mühe, eine Scheinwelt in uns aufzubauen, wenn die Realität viel einfacher ist?

Im Frühstadium des Lebens gab es so gut wie überhaupt keine Sinnes­empfin­dung. Die damali­gen Einzeller schnappten sozusagen alles auf, was ihren Weg kreuzte. Die Umwelt zu orten, war zunächst nicht notwendig.

Doch als die molekularen Bausteine in der archaischen Ursuppe mit der Zeit knapp wurden, wurden diejenigen Lebewesen begünstigt, die die elektro­magne­tische Strahlung der Sonne mit Hilfe spezifischer Stoffe (Chlorophyll) für ihren Ener­gie­haushalt in Form der Photosynthese nutzen konnten. Dieses Chloro­phyll hatte sich mehr oder weniger zufällig in die Membran der dama­li­gen Zel­len „eingeschlichen“ und konnte nun seine Dienste erweisen. Das war übrigens der Zeitpunkt, an dem die Wege von Tieren und Pflanzen auseinan­der­gingen.

Chlorophyll konnte aber nur eine bestimmte Bandbreite der elektro­magne­tischen Wellen nutzen, die nicht nur von der Sonne, sondern von überall her mit kürzeren und längeren Wellenlängen auf die damaligen Lebewesen einwirkten. Diejenigen Urpflanzen, die vor ca. 3 Millionen Jahren durch das Meer trieben, die diesem Wellenbereich besonders nahe kamen, hatten deshalb einen grö­ßeren Überlebensvorteil als andere, die weder die Wahrnehmung noch die Fortbewegungs­mittel hatten, um diese Chance zu nützen. Folglich entwickelten sich Lebewesen mit entsprechend empfindlichen Zellen, mit Geißeln, später Flossen, zumindest aber mit Möglichkeiten (Längen­wachs­tum, Bewegungs­spiel­raum), um diesen Wellenbereich, der von uns heute Licht genannt wird, optimal auszunutzen.

Im Laufe der Entwicklung haben sich die lichtempfindlichen Zellen immer weiter differenziert und spezialisiert. Zusammen mit schattengebenden Pigmenten sam­melten sie sich am Kopf des Lebewesens, wobei sich eine Vertiefung als Schutz vor Berührungen als Selektionsvorteil erwies.

Dieses sogenannte Becherauge (vgl. Ditfurth, H.v.: Der Geist fiel nicht vom Himmel, Hamburg 1976, S. 116 ff.) hatte jedoch noch einen weiteren entschei­den­­den Vorteil. Sich bewegende Objekte in der Außenwelt konnten jetzt identi­fiziert werden, weil deren Lichtwellen als Schatten von einer Becherwand zur an­deren wanderten. Damit konnten erstmalig Beute und Feinde aus der Distanz beobachtet werden, was sich als wirklich lebensentscheidender Vorteil erwies.

Die Entwicklung ging jedoch noch weiter. Je geringer das Becherauge geöffnet war, desto schärfer ließ sich am einfallenden Lichtstrahl die Richtung und die Ge­schwindigkeit der Objekte messen. So entstanden das Lochauge, das kom­bi­niert mit einer Linse und der Möglichkeit, die Lichtwellen weiter zu diffe­renzieren (farbiges Sehen) das uns bekannte Abbild der Wirklichkeit liefert. Je nach Entwicklungsstand kann die Wirklichkeit also in Bezug auf die visuelle In­for­mation aus einem unscharfen Hell-Dunkel-Kontrast oder aus einem farben­prächtigen, präzisdifferen­zier­ten Bild bestehen. Der Sinn von Lichtrezeptoren und dies gilt im gleichen Maße auch für die übrigen Sinnesorgane ist es, dem jeweiligen Träger das Überleben zu erleichtern. Das gilt vor allem dann, wenn die Umwelt mit ihren Chancen und Risiken möglichst exakt wahrgenommen wird. D.h., die ankommenden Informationen müssen in eine Sprache oder in Bilder bzw. Wellenunterschiede übersetzt werden, die der Differenziertheit der Außenwelt entspricht. D.h. aber nicht, daß die Außenwelt real abgebildet wird. Sie wird lediglich transformiert.

Fassen wir zusammen, so müssen wir feststellen, daß uns unsere Sinne einen argen Streich spie­len. Während wir normalerweise glauben, daß das, was sie uns übermitteln, auch tatsächlich existiert, stehen wir nun vor den Trümmern unserer Anschauung. Wir werden buchstäblich hinters Licht geführt. Wir stehen auf der Spitze einer Pyramide voller Täuschungen, auf die uns ein wie immer geartetes Schicksal mit List und Tücke geführt hat.

Wir bilden uns ein, mit unserem Erkenntnisstand über die Welt die Krone der Schöpfung zu sein, doch sind wir tatsächlich vom Bewußtsein eines Regenwurms allenfalls Millimeter entfernt. Unsere Wahrnehmung mag zwar differenzierter sein und uns deshalb ein Überleben in dieser Welt erleichtern, im Prinzip wissen wir jedoch nichts über die Realität. Wie sagte noch Sokrates: „Ich weiß nur, daß ich nichts weiß“ und damit trifft er wohl den Nagel auf den Kopf.

Wer von dieser weisen Erkenntnis noch nicht überzeugt ist, sollte sich mit den neu­eren Erkenntnissen der Relativitätstheorie und der Atomphysik beschäftigen. Hier wird schon seit Jahrzehnten  ein Weg vorgezeichnet, der das Bewußtsein und das Wissen um diese Welt stärker revolutionieren wird als jemals zuvor. Um diese Erkenntnisse verständlich machen zu können, müssen wir uns wohl oder übel mit einigen Grundlagen der Physik beschäftigen. So schwierig diese Materie im wahrsten Sinne des Wortesfür den Laien erscheint, so interessant und folgen­reich sind aber die Schlußfolgerungen, die nicht nur das gewachsene Welt­bild der Naturwissen­schaften auf den Kopf stellen, sondern auch eine Brücke zu jenen anderen Wirklichkeiten schlagen, die in Mythen, Sagen, Religionen und Weisheitslehren beschrieben werden.

 

2.3 Auf der Suche nach dem Ding an sich

 

In den bisherigen Betrachtungen über unsere Wirklichkeit haben wir die Welt mehr aus unserer subjektiven Sicht beurteilt. Bei aller kritischen Stellungnahme kommen wir jedoch nicht umhin, zuzugeben, daß unsere Wahrnehmungen auf zunächst unbezweifelbaren Tatsachen beruhen. Es gibt offensichtlich elektro­magnetische Wellen und es gibt Materie, die auf uns einwirkt. Daher der Name Wirklichkeit. Die Frage ist nur, wie sie tatsächlich beschaffen ist.

Neh­men wir einen x-beliebigen Gegenstand in die Hand, beispielsweise ein Stück Holz, so fällt zunächst das Gewicht und die Größe auf. Gegenstände ha­ben offensichtlich alle ein bestimmtes Gewicht und nehmen einen bestimmten Raum ein. Außerdem bestehen sie wie das Holz aus Materie. Was aber ist Materie, Raum und Gewicht? Wenn wir dieses Stück Holz untersuchen, stellen wir fest, daß es sich zerteilen läßt. Z.B. in dem wir es zersägen, das Sägemehl  in Wasser auflösen, usw.

Übrig bleiben, unter dem Mikroskop betrachtet, abgestorbene Zellen, die sich ehedem, als der Baum noch lebte, im Zuge seines Wachstums gebildet hatten. Alle Pflanzen und Tiere, die auf dieser Welt leben (Menschen eingeschlossen), bestehen aus solchen Zellen. Sie sind sich so ähnlich, daß man glaubt, daß sie von einer Urzelle stammen, die sich, Zufall oder Nichtzufall, vor Milliarden Jah­ren entwickelt haben soll. Die Mannigfaltigkeit, die wir heute im organischen Be­reich beobachten, immerhin gibt es Hunderte von Millionen verschiedener Arten, reduziert sich also bei näherem Hinsehen, auf einen Baustein. Was aber ist eine Zelle?

Eine Zelle ist ohne zu übertreiben sicherlich ein Wunder. Eine mikroskopische Welt aus Millionen Bestandteilen, Moleküle genannt, die sich als faden- oder knäuelförmige Gebilde in Bruchteilen einer Sekunde vereinigen, trennen, aufbauen oder abbauen. Die Zelle gleicht einer Fabrik, in der unablässig nach einem bestimmten Plan produziert wird, dessen Steuerung teilweise aber heute immer noch ein Rätsel ist. Die unübersehbare Schar der verschiedensten Bestandteile einer Zelle, die wie zum Beispiel die DNA aus hunderttausend ein­zel­nen Genen bestehen können, reduziert sich aber auch hier bei näherer Untersuchung auf immergleiche, mit kleinen Abweichungen in Bezug auf Kombination und Anzahl versehene Ketten von Molekülen (Amino- und Nuklein­säuren), in denen vor allem der Kohlenstoff dominiert. Und untersuchen wir diese Ketten noch ge­nau­er, so stoßen wir auf das Atom, das schon der Grieche Demokrit vor 2000 Jahren postu­liert hat und das lange Zeit als der Urbaustein schlechthin gegolten hat.

Wenden wir nun den Blick aus der Tiefe der Materie in die Weite des Weltalls, sehen wir Milliarden Sterne und Galaxien in einem Raum, in dem der Weg des Lichts mit seiner unüber­trefflichen Geschwindigkeit von ca. 300.000 km pro Sekunde in Jahren gemessen wird, um von einem Stern zum anderen zu kommen. Diese majestätische Welt, die sich allabendlich über unseren Köpfen spannt, ist, man kann es schon ahnen, auch wiederum von verblüffender Einfachheit. Sie besteht zu über 99 % aus zwei der leichtesten Atome (Was­serstoff und Helium), während Kohlenstoff, Eisen, Gold, usw. lediglich Verunrei­ni­gungen dieses Wasserstoff-Helium-Universums sind.

Alle anorganische und organische Materie besteht letztlich aus Atomen, die sich vom Wasserstoff bis zum Uran (92 Elemente) lediglich in der Anzahl ihrer Kernteilchen (Protonen und Neutronen) unterscheiden. Denn auch das Atom, wie könnte es anders sein, ist nicht der gesuchte Urgrund, auf dem die Welt fest verankert ist.

Das Atom selbst ist wiederum eine Welt für sich, bestehend aus größeren und klei­neren Teilchen, deren Lebensdauer von 10hoch30 Jahren wie beim Proton bis hin zu 10hoch-23 Sekunden bei rasch wechselwirkenden Teilchen beträgt.

Ein Atom ist so groß wie der hunderttrillionstel (10hoch-14) Teil eines Zenti­me­ters. Trotzdem um­rundet das Elektron den Kern in einem für diese Verhältnisse gewaltigen Abstand, nämlich in 10hoch-10 cm. D.h., wenn der Atomkern 1 m groß wäre, würde das Elektron 10 km entfernt sein. Dazwischen ist die große Leere. Woraus das Atom letztlich besteht, wissen wir nicht. Denn wenn man die Teilchen untersucht, stößt man auf immer neue Untergruppierungen, die sich wo­möglich bis in Unendliche fortsetzen. Bertrand Russel, ein englisches Genie, meint dazu, daß die Materie mit zunehmendem Wissen immer durch­schei­nen­der und sich verflüchtigen wür­de (Vgl. Popper, K.R.; Eccles, J.C.: Das Ich und sein Gehirn, München 1982, S. 191).

Hier­zu passen auch die Ergebnisse der Quantenphysik, die u.a. festgestellt hat, daß die Elementarteilchen keineswegs so klar erkennbar und meßbar sind, wie wir beispielsweise die Geschwindigkeit eines Autos berechnen. Im Gegenteil haben diese Teilchen die rätselhafte Eigen­schaft je nach Art der Messung als Teilchen, aber auch als Welle aufzutreten. Mit anderen Worten: Ein Teilchen läßt sich gleichzeitig an einem bestimmten Ort wie auch an mehreren feststellen. Ein Phänomen, das unsere Vorstellungen übersteigt.

Jedenfalls müssen wir uns davon lösen, daß die Welt eine gigantische Uhr darstellt, in der die einzelnen Teile mechanisch miteinander verbunden sind. Alle physikalischen Systeme, zumindest die auf der elementaren Ebene, sind, so sagt die Quantenphysik, keine Uhren, sondern Wol­ken (Vgl. Zukavv. G.: Die tanzenden Wu Li Meister, Reinbek 1981, S. 90). Wolken haben jedoch die Eigenschaft, nicht greifbar zu sein. Wenn man sie fassen will, dann greift man hindurch.

Die feste Materie, die wir in den Händen halten oder auf der wir stehen, ist letzt­lich also eine Wolke, ein durchscheinendes Etwas, das sich verflüchtigt, wenn man es näher untersucht. Welch fatale Einsicht.

Dabei bemerken wir eigentlich schon längst, daß unsere Welt so sicher und fest nicht sein kann. Um uns herum begegnen wir ständig Fehlern und Irrtümern, Aus­­nahmen, Restrisiken, Schwä­chen, usw. Damit wir uns überhaupt zurecht­finden können, müssen wir ständig nach konstanten Verhaltensweisen und Er­schei­­nungsformen suchen und deren Häufigkeit berechnen. Kollege Zufall, als der große Unbekannte, begegnet uns auf Schritt und Tritt.

Die Ursache des Zufalls liegt in der genannten elementaren Unberechenbarkeit begründet, die verhindert, daß wir den Fall des Würfels exakt bestimmen kön­nen. Selbst Computer begehen Fehler und wenn morgen die Sonne nicht mehr aufgehen würde, wäre das zwar sehr unwahr­scheinlich, aber nicht un­möglich.

Unsere Wirklichkeit ist nicht nur rätselhafter als wir denken: Wir müssen uns sogar fragen, was eigentlich von ihr übrigbleibt, wenn sie sich im Nebel ver­flüchtigt. Sollte unsere Welt nicht vielleicht doch ein Traumgebilde sein, das zu welchem Zweck auch immer, uns, die wir dann selbst Traumwesen sind, et­was vorgaukelt?

Jedenfalls ist das, was letztlich in der Materie enthalten ist, noch rätselhafter und völlig unver­ständ­­lich. Es handelt sich hierbei um einen Begriff, der uns allen geläufig ist, nämlich um Energie.

Energie kommt bei uns aus der Steckdose, so lautete einmal ein ironischer Spruch der Kernkraftgegner und kennzeichnet damit sprichwörtlich unsere Situ­a­tion. Alles, was wir über Energie wissen, ist, daß sie existiert, daß es be­stimm­te Formen gibt und daß man sie in gewissem Sinne manipulieren kann. Was Energie eigentlich ist, wo sie herkommt und warum sie sich z.B. in Materie verwandelt hat, ist unbekannt.

Energie ist zweifellos eine Kraft, die Maschinen antreibt, Wärme erzeugt, belebte und unbelebte Gegenstände bewegt, in Strahlenform, elektrisch, chemisch, potentiell oder kinetisch.

Aus der Formel E = m x c hoch 2, wobei c die Lichtgeschwindigkeit mit ihren ca. 300.000 km/h ist, kann selbst ein Laie ablesen, daß in der Materie (Masse) ungeheure Mengen an Energie vorhanden sein müssen, was ja durch die Atom­bom­ben, aber auch durch die friedliche Nutzung der Kernenergie hinlänglich be­wiesen wurde bzw. wird.

Alles ist Energie. Wo wir hintreten, wo wir hinschauen, wir selbst, die Erde, die Sonne, sogar der Weltraum besteht aus Energie, d.h. letztlich aus einer unbe­stimmbaren Kraft, deren Herkunft und deren Zukunft im Dunkeln liegen.

Nachdem wir nun soweit in die Physik eingestiegen sind, daß uns klar geworden sein sollte, daß wir eigentlich nichts wissen, können wir abschließend noch mit zwei weiteren liebgewordenen Eigen­schaften unserer Wirklichkeit aufräumen, die für uns so selbstverständlich sind, daß jeder Zweifel an ihnen in der Regel auf Unverständnis trifft. Es handelt sich um die Begriffe Zeit und Raum, die wir normalerweise automatisch gebrauchen, ohne über ihren Hintergrund nachzu­denken.

 

2.4 Zeit = Raum = Energie?

Daß Zeit etwas ist, was ständig und vor allem gleichmäßig vergeht, gehört zu unserem Alltagsverständnis wie auch die Vorstellung, daß der Raum wie ein Zimmer, ein Saal oder wie der Lebensraum bzw. der Weltraum etwas Abgegrenztes mit Länge, Breite und Höhe (Tiefe) ist.

Beides, die gleichmäßig fließende Zeit wie auch der weitgehend leere, abgegrenzte Raum sind jedoch auch spezifisch menschliche Wahrnehmungen, die auf Erfahrungen beruhen, die mit der Wirklichkeit nur sehr wenig zu tun haben. Zeit kann beispielsweise je nach Standort des Beobachters mal langsamer, mal schneller oder sogar überhaupt nicht vergehen. Der Weltraum ist in Wirklichkeit nicht leer, genausowenig besteht er nur aus drei Dimensionen. Raum kann gekrümmt oder deformiert sein, genauso wie ein Gegenstand. Wie kann das sein?

Wenn wir den Begriff Zeit verwenden, so meinen wir im allgemeinen, daß inner­halb unserer Tages- oder Kalenderzeit bestimmte Ereignisse geschehen, die wir mit Hilfe unserer Uhr oder unserem Kalender in eine Reihenfolge bringen.

Also zum Beispiel: Um 17 Uhr habe ich eine Verabredung. Oder: Nächstes Jahr sehen wir uns wieder.

Während diese beiden (wahrscheinlichen) Ereignisse in der Zukunft liegen, haben sich folgende Ereignisse in der Vergangenheit abgespielt:

Gestern war ein schöner Tag. Oder: In den letzten Monaten hat sich die politi­sche Situation beruhigt.

Zwischen diesen beiden Zeitformen liegt die Gegenwart, d.h. Ereignisse, die unmittelbar geschehen wie z.B.: Im Moment regnet es wieder einmal. Oder: Gerade hüpft ein Kängeruh vorbei.

Halten wir fest: Wir benutzen zeitliche Formen, um Ereignisse in eine Reihen­folge zu bringen, was natürlich die Gleichzeitigkeit nicht ausschließt. Womit mes­sen wir die Abstände zwischen den Ereignissen? Wir schauen z.B. auf die Uhr.

Als Uhren noch ein Räderwerk hatten, heute gibt es sogar schon Atomuhren, ließ sich ihre Funktionsweise noch besonders gut verdeutlichen. In einer mecha­nischen Uhr dreht sich ein Räderwerk mit erstaunlicher Gleichmäßigkeit, d.h. auch in einer Uhr geschieht etwas. In einer Uhr läuft die Zeit ab, weil sich dort (auch in einer quarzgesteuerten Uhr) etwas bewegt. Es bewegt sich in einem Rhythmus, der der Drehung der Erde um sich selbst und um die Sonne ent­spricht. D.h. die Uhr versinnbildlicht den Zeitablauf von Ereignissen, die außer­halb von ihr mit den Gesetzen der Himmelsmechanik zu tun haben.

Wenn wir also sagen, daß wir uns um 17 Uhr treffen wollen, dann meinen wir eigentlich, daß wir uns zu einem bestimmten Zeitpunkt treffen wollen, an dem die Sonne aufgrund der Eigen­dre­hung der Erde in einem bestimmten Winkel auf den Treffpunkt strahlt.

Andere Beispiele: Der Kalender sagt uns, welchen Weg die Erde auf ihrem Weg um die Sonne zu­rückgelegt hat. Die Jahreszeit, wieweit die periodische Entwicklung der Pflanzen fortgeschritten ist.

Zeit ist also unmittelbar an Ereignissen geknüpft, man kann sogar sagen, Zeit ist Ereignis oder besser ausgedrückt, Zustandsveränderung und damit eine Form der Energie. Dabei spielt es prin­zipiell keine Rolle, welche Zustands­verän­de­rung wir als Maßstab nehmen. Das Alter eines Menschen könnte z.B. nicht nur an der Zahl seiner Jahre, sondern auch an der Zahl seiner grauen Haare ge­mes­sen werden, was vermutlich des öfteren der Wahrheit näher käme.

Z.B. gibt es Menschen, die schon im Alter von etwa 10 Jahren an Vergreisung sterben. Oder wir könnten unsere Chronometer statt nach dem Verhältnis zwischen Erdbewegung und Sonnenstand nach dem Verhältnis Sonne-Mond oder auch Sonne-Mars ausrichten. Im Altertum war diese Art von Zeitmessung durchaus beliebt.

Wenn wir aber nun zugeben, daß Zeit letztlich die Beschreibung einer beliebigen Zustands­veränderung ist, dann müssen wir auch zulassen, daß es keine objektive Zeit im Sinne einer universalen Konstanten gibt. Dann kann die Zeit mal schnell, mal langsam vergehen, je nachdem, welchen Maßstab wir ansetzen.

Um diese Folgerung zu verdeutlichen, sollten wir uns den umgangssprachlichen Begriff der Zeitstille oder der Zeitlosigkeit vornehmen. Wann sprechen wir davon, daß die Zeit still steht oder etwas zeitlos ist?

Abgelegene Regionen wie beispielsweise die Dschungel des Amazonas-Becken, aber auch die Tiefen der Ozeane sind solche Zeitinseln, in denen zumindest für den Außenstehenden die Zeit häufig still zu stehen scheint. D.h. für die Eingeborenen wird es schon ein Zeitempfinden geben, schließlich sind sie z.B. alle einmal jung und später alt.

Andere Merkmale der Veränderung fehlen bzw. werden vom Beobachter kaum wahrgenommen. Z.B. die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Verhaltensgewohnheiten, der Anzahl, der Vielfältigkeit, usw. Je weniger Verän­de­rungen vorhanden sind, desto mehr scheint die Zeit still zu stehen. Ein zeit­loses Gesicht ist ein Gesicht, das sich auch in Jahrzehnten kaum verändert, wie das besonders bei Schauspielern manchmal zu beobachten ist.

Man wird nun vielleicht einwenden, daß trotzdem eine Schulstunde, egal wie wir sie empfinden, 45 Minuten dauert und deshalb die Zeit doch objektiv gesehen stetig und regelmäßig abläuft. Dieser Einwand gilt nur, wenn wir, wie es tatsächlich geschieht, übereinkommen, daß als Zeit­messer das bereits genannte Ver­hältnis Erde-Sonne benutzt wird. Diese Konversion ist aber willkürlich und wie bereits ausgeführt jederzeit durch andere möglicherweise nicht so regel­mäßige Zustandsveränderungen ersetzbar.

Warum spielt das alles in diesem Zusammenhang eine Rolle? Weil wir norma­lerweise glauben, daß Zeit eine feststehende Größe ist. Eine vierte Dimension, die für sich allein existiert und auf die wir bauen können; tatsächlich ist Zeit jedoch relativ, d.h. gebunden an das Maß der Veränderung des ausgewählten Parameters. Zeit ist deshalb ein Ausdruck für das Wirken von Energie, genauso wie Materie eine Form der Energie ist.

Gut. Eigentlich spielt es aber auch keine Rolle, woran wir Zeit letztlich messen. Alt werden wir z.B. in jedem Fall und die Zeitspanne zwischen Geburt und Tod, ob wir sie nun in Erdumläufen oder an der Zahl der grauen Haare fixieren, bleibt dieselbe, wenn wir die Geschwindigkeit des Alterungsvorganges, der mit den Stoffwechselprozessen in unserem Körper zusammenhängt, als Zeitkriterium zugrundelegen. Dieser läuft weitgehend gleichmäßig, eben wie ein Uhrwerk, ab, zumindest aber quasi programmiert. Ob wir uns nun auf dem Boden eines Ozeans, im Himalaya, auf dem Mond oder in einer rasend schnellen Rakete befinden, die Lebenszeit des Menschen, d.h. die Veränderung seines Stoff­wechsels läuft im Durchschnitt überall gleich schnell ab.

Falsch. Genau hier befinden wir uns in einem noch größeren Irrtum als vorher. Es klingt unglaub­lich, aber die Relativitätstheorie von Einstein hat bewiesener­maßen ergeben, daß die Zeit, d.h. Zustandsveränderungen in ihrer Ge­schwindigkeit abhängig sind sowohl vom Ort als auch von der Bewe­gung des Beobachters u n d des Objektes.

Mit anderen Worten: Es ist möglich, daß durch den Aufenthalt im Weltraum an bestimmten Stellen und mit bestimmten Geschwindigkeiten ein Mensch wesent­lich langsamer alt werden kann als ein von Geburt Gleichaltriger auf der Erde. Im Extremfall kann der Erdbewohner schon ein paar Tausend Jahre tot sein, wenn der andere nur einige Jahre gealtert von seinem Weltraumflug zurück­kommt. Um welches Lebenselixier handelt es sich hier?

Bevor wir erklären wollen, wie ein solcher Jungbrunnen zustande kommt, müs­sen wir uns den Begriff „Raum“ ebenfalls einmal näher betrachten. Wenn wir ein Bild ansehen, fehlt uns die räumliche Anschauung, d.h. zu den zwei Dimensionen Länge und Breite muß noch eine dritte, die Tiefe oder Höhe, hin­zu­kommen, damit wir den Raum gewahrwerden.

Alles, was aus diesen drei Dimensionen besteht, ist Raum. Ein Atom nimmt eben­so Raum ein wie ein Stern, ein Haus besteht aus Raum genauso wie eine Papp­schachtel. Unser Volk braucht noch neuen Lebensraum, hieß es im Dritten Reich. Wir bewegen uns im Raum, genauer gesagt im Weltraum, der scheinbar, mit Ausnahme einiger Materiebrocken, weitgehend leer ist.

Im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung sind der Weltraum und eigentlich alle Räume keines­wegs weitgehend leer. Ein Zimmer mag zwar für uns überwiegend leer erscheinen, wenn wir es bewohnen können, in Wahrheit ist es bekanntlich prall gefüllt, und zwar mit gasartigen Mole­külen, wie Sauerstoff, Stickstoff, usw. Auch wirken die unterschiedlichsten Strahlen, Wellen und Kräfte auf diesen Raum ein, die wir meistens, wenn überhaupt, nur indirekt wahrnehmen können.

Im Weltraum selbst finden sich zwar kaum noch Moleküle, dafür elektro­magnetische Strahlung, besonders in der Nähe von Sternen und es gibt die Gravi­tation (übrigens auch bzw. gerade auf der Erde).

Die Gravitation wird mit den übrigen Wechselwirkungen (starke und schwache Kernkraft, elektromagnetische Kraft) zu den vier elementaren Kräften gezählt, die unser gesamtes physi­ka­lisches System aufrechthalten. Zwar hat es schon erfolg­reiche Versuche gegeben, diese Kräfte zu vereinheitlichen. Bei der Gravi­ta­tion ist man bisher jedoch immer wieder gescheitert. Der Grund hierfür könnte darin liegen, daß Gravitation, auch als Schwerkraft bezeichnet, keine elemen­ta­re Kraft ist.

Auf einen frei fallenden Apfel sowie auf alle anderen Gegenstände wirkt nach Einstein überhaupt keine Kraft. (Vgl. Calder, N.: Einsteins Universum, Frankfurt 1980, S. 60)
Lediglich der durch die Gravitation gekrümm­te Raum veranlaßt den Apfel, beschleunigt zu fallen.

In der Einstein’schen Relativitätstheorie, die heute unbestritten gilt, ist der Raum nicht bloß ein Raum mit einigen Gegenständen oder Strahlungen. In einer für uns unbegreiflichen Dimension ist er in der Nähe massiver Körper z.B. der Son­ne oder der Erde quasi gequetscht oder eben gekrümmt. Die konzentrierte An­samm­lung von Materie scheint ihn zu deformieren, so, als ob er selbst ein Gegenstand sei.

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, daß der Raum, auch wenn er als weit­gehend materiefrei gilt, aus sogenannten Geisterteilchen besteht, die als Vor­stufe der Materie angesehen werden. Ein derartig verformter Raum ist zwar für unsere Augen nicht sichtbar, nimmt aber ständig Einfluß auf unser Leben.

Gravitation, also Krümmung des Raumes, verlangsamt z.B. die Zeit. Das ist eine wesent­liche Forderung der Theorien Einsteins, die auch experimentell schon längst bewiesen wurden. Beispielsweise hat man Atomuhren auf der Erd­ober­fläche, wo die Gravitation stärker ist, mit Uhren verglichen, die sich in einem Flugzeug etwa 9000 m über der Erde befanden. Pro Stunde gingen die Uhren auf der Erde etwa drei Milliardstel Sekunden langsamer.

Da wir Zeit als Zustandsveränderung oder noch einfacher als Bewegung defi­niert haben, können wir somit sagen, daß je näher ein Gegenstand (übrigens auch Licht ist gegenständlich) an einen massiven Körper gerät, desto mehr ver­liert er an Bewegungsenergie. Uhren laufen langsamer, Atome bewegen sich weniger, usw. Diese Phänomen gilt aber nur, wenn wir die Uhr von außen her, d.h. aus einer anderen Entfernung zum Gravitationszentrum betrachten. Die Uhr selbst oder ihr Träger könnte keinen Unterschied feststellen.

Genauso ist es beim Menschen. Seine Stoffwechselprozesse, die letztlich auf der Bewegung seiner Atome beruhen, verlangsamen sich ebenfalls in der Nähe massiver Körper, d.h. er altert nicht so schnell wie die Menschen, die sich weiter entfernt aufhalten.

Man kann jetzt einwenden, daß diese Unterschiede in der Praxis minimal und deshalb irrelevant sind.

Zunächst einmal ist die Tatsache erstaunlich, daß Zeit überhaupt veränderbar ist und daß der Raum etwas Gegenständliches ist, der in einer für uns unbe­greif­lichen Weise deformiert ist und damit unser Leben fundamental beeinflußt. Es geht ja nicht nur um die paar Milliardstel Sekunden Unterschied, die sich bei einem Wechsel unseres Standorts einstellen, wenn wir mit dem Flugzeug fliegen. Zeit, egal wie schnell oder langsam sie vergeht, und damit Zustands­veränderung oder Bewegung überhaupt, ist offensichtlich eine unmittelbare Konsequenz der jeweiligen Raumkrümmung! Was aber Raumkrümmung ist, können wir uns nicht vorstellen.

Außerdem könnte diese Zeitdilatation in Zukunft doch größere Bedeutung erlan­gen, wenn z.B. Raumfahrer mit großen Geschwindigkeiten lange Reisen unter­neh­men. Hohe Geschwindigkeit, im Extremfall bis in die Nähe der Licht­ge­schwindigkeit, krümmt ebenfalls den Raum, so daß die Zeit für die Raumfahrer langsamer verlaufen würde.

Doch fassen wir nun die gesammelten Erkenntnisse zusammen:

Unsere Wirklichkeit ist nicht so, wie sie zu sein scheint. Sie ist weder bunt noch laut, sie riecht nicht und sie schmeckt nicht. Unsere Sinne vermitteln allenfalls eine Ahnung von dem, was wirklich ist. Was aber ist wirklich? Wir haben festgestellt, daß hinter allen Erscheinungen Ener­gie als Ursache steckt. Energie ist aber so unbestimmbar und unerklärbar, daß diese Aussage uns überhaupt nicht weiter hilft. Wir können lediglich festhalten, daß jeder Mensch aufgrund ver­erb­ter und erlernter Erfahrungen bestimmte Vorstellungen von Wirklichkeit kon­stru­iert, die ihm ein Überleben in dieser Welt ermöglichen, die jedoch keinen Bestand an sich haben.

Um diese Situation noch deutlicher zu machen, sollten wir noch auf einige Un­ter­suchungen eingehen, die gemacht wurden, um zu zeigen, wie abhängig un­ser Weltbild von unseren Vorurteilen, unserem Sicherheitsbedürfnis und von un­se­rem Glauben ist.

 

 

2.5 Der Glaube versetzt Berge

Wenn wir feststellen, daß das Gras auf der Wiese grün ist, dann ist das für uns eine Tatsache, die zu den objektiven Bestandteilen unserer Wirklichkeit gehört. Wir haben zwar vorhin gehört, daß Farben und Licht allgemein nur eine subjektive Interpretation von Wellenunterschieden ist und im Grunde nichts zu sehen ist, was wir sehen könnten, doch wird uns dieses Wissen nichts nützen. Die Wiese bleibt weiterhin grün.

Die Vorstellung von dieser Erscheinungsform der Wirklichkeit ist so fest ver­wurzelt, daß eine Änderung nicht möglich erscheint. Allenfalls im Alkohol- oder Dro­genrausch wird die strikte Kontrolle aufgeweicht, die unsere Überlebens­fähig­keit sichert und wir sehen nicht nur andere Farben, sondern erleben andere Wirklichkeiten schlechthin.

Wie stark wir unsere Wirklichkeit durch unseren Glauben beeinflussen bzw. sie erzeugen zeigt sich auch an einem psychologischen Experiment, bei dem den Versuchspersonen Spielkarten kurze Zeit vorgehalten wurden, damit diese sie identifizieren konnten. Es handelte sich in der Regel um normale Spielkarten. Einige enthielten allerdings Anomalien wie beispielsweise eine rote Pik Sechs oder eine schwarze Herz Dame.

Es zeigte sich nun, daß bei kürzeren Betrachtungszeiten alle Spielkarten identifiziert wurden, wobei diejenigen mit Anomalien ohne Erstaunen einfach als normale Spielkarten behandelt wur­den. Aus der schwarzen Herz vier wurde eine rote Herz vier oder eine schwarze Pik vier, usw. D.h. die Anomalie wurde gar nicht bemerkt, sondern sofort in eine durch die Vorerfahrung bestimmte Konzeption eingepaßt. Da es eine schwarze Herz vier in der Erfahrungswelt der Versuchsperson bisher nicht gab, wurde sie auch nicht wahrgenommen und die Wirklichkeit verfälscht.

Bei längeren Betrachtungen begannen aber einige der Versuchspersonen zu zögern und verfielen auf merkwürdige Beobachtungen; wie z.B. bei der roten Pik Sechs:

„Das ist die Pik Sechs, aber da stimmt etwas nicht – das Schwarze hat einen roten Rand!“ (Bandler, R.; Grinder, J.: a.a.O., S. 38)

Erst bei der mehrfachen Länge der Darbietungszeit veränderten die meisten Versuchspersonen ihre Kategorien und identifizierten auch die anormalen Karten korrekt. Einige schafften es jedoch auch dann nicht und gerieten teilweise sogar in Panik:

„Ich kann die Farbe nicht erkennen, was es auch ist. Diesmal sah es nicht wie eine Karte aus. Ich weiß jetzt nicht, welche Farbe sie jetzt hat oder ob es Pik oder Herz ist. Ich bin mir nicht einmal sicher, wie Pik aussieht. Mein Gott!“ (Bandler, R.; Grinder, J.: a.a.O., S. 39)

Dieses Experiment zeigt deutlich, wie sehr unser Erleben von unseren Erwar­tungen geprägt wird. Würde uns in unserem Alltag etwas Ähnliches passieren, beispielsweise wenn wir einem angeblich Verstorbenen begegnen, würden wir ihn für einen Fremden halten oder zum Nervenarzt gehen. Genauso wäre es, wenn wir wirklichen Geistern begegneten. Wir würden sie nicht erkennen, weil wir nicht an sie glauben. Wir würden sagen, daß wir einer Luftspiegelung, einer Täuschung, einer Überspanntheit oder sonst etwas zum Opfer gefallen seien. Aber Geister? Ich bitte Sie!

Auf einer vergleichbaren Ebene liegt ein anderer Versuch, bei dem die Versuchs­personen aufgefordert wurden, an einer Apparatur bestimmte Knöpfe zu drücken, die scheinbar in einer ganz bestimmten Weise mit einem Summton ver­bun­den waren. Aufgabe war es, diese Regel herauszufinden. Die Versuchs­an­ordnung war jedoch so angelegt, daß es anfangs dem Zufall überlassen war, wann ein Summton ertönte und wann nicht. Dann summte es eine ganze Weile überhaupt nicht und zum Schluß des Experiments bei jedem Knopfdruck.

Zunächst war es also ungeheuer schwierig überhaupt einen Zusammenhang zwischen Knopf­druck und Summton zu finden. Glaubten dann die meisten, diese Regel gefunden zu haben, wurde sie durch das von ihnen nicht einsehbare Abschalten des Summers zunichte gemacht. Jetzt lief überhaupt nichts mehr, während dann zum Schluß die Lösung gefunden zu sein schien.

Als dann die Versuchspersonen über die tatsächlichen Verhältnisse im Experi­ment aufgeklärt wurden, konnten die meisten die Wahrheit zunächst nicht glau­ben. Ihr Vertrauen in die so müh­selig erarbeitete Lösung war so groß, daß sie eher an einen Irrtum des Versuchsleiter glaubten als an ihren eigenen Irrtum.

„Das Elegante an diesem Versuch ist, daß er das Wesen eines univer­sa­len menschlichen Problems klar herausstreicht: Wenn wir nach langem Suchen und peinlicher Ungewiß­heit uns endlich einen bestimmten Sach­­verhalt erklären zu können glauben, kann unser darin investierter emo­tionaler Einsatz so groß sein, daß wir es vorziehen, unleugbare Tat­sachen, die unserer Erklärung widersprechen, für unwahr oder un­wirk­lich zu erklären, statt unsere Erklärung  diesen Tatsachen anzu­pas­sen.“ (Watzlawik, P., Wie wirklich ist die Wirklichkeit? München 1976, S. 66)

In diesem Experiment steckt aber noch ein anderes menschliches Problem, daß wir als das fundamentalste überhaupt bezeichnen können. Das Problem näm­lich, Ordnung zu schaffen, wo nur das Chaos herrscht. Wir sollten uns noch einmal deutlich vor Augen führen, daß jeder menschlicher Erkenntnis, sei es die Wahrnehmung über unsere Sinnesorgane oder über den Verstand, lediglich der Versuch ist, einer völlig ungeordneten, regellosen, chaotischen Welt eine be­stimm­te Ordnung zuzuweisen, die jedoch total subjektiv ist und keinerlei feste Bezugspunkte außer dem einzelnen Menschen selbst hat.

Was können wir eigentlich unter Ordnung verstehen? Betrachten wir einmal folgende zwei Zahlenreihen:

4,1,5,9,2,6,3,6,…

und

1,2,3,4,5,6,7,8,9.

Für jeden wird auf den ersten Blick deutlich, daß die zweite Reihe eine klare Ordnung aufweist, während die erste offensichtlich vollkommen ungeordnet ist. D.h. bei der zweiten Reihe besteht eine Beziehung zwischen zwei benachbarten Zahlen insofern, daß die jeweils folgende um einen Zähler größer ist. Bei der ersten fehlt eine derartige Beziehung; zumindest können wir keine erkennen, und deshalb erscheint sie uns als ungeordnet.

Ein Mathematiker könnte allerdings sehr schnell beweisen, daß die erste Reihe doch über eine höchst strenge innere Ordnung verfügt (sie ist ein Teil der Ludolfschen Kreiszahl), so daß unser Glaube, daß es sich hierbei um eine Zufallsreihe handelt, als falsch erweist.

Man wird nun aber annehmen, daß es doch irgendwelche Zufallsreihen gibt, die keinerlei innere Ordnung aufweisen und sich deshalb von den geordneten absolut unterscheiden. Für den Mathematiker gilt diese Behauptung nicht. Für ihn gibt es allenfalls Reihen, deren Ordnung er nicht  kennt. Die Abwesenheit einer bestimmten Ordnung schließt die Anwesenheit einer anderen Ord­nung logisch ein.

Wenn wir also unter Tausenden von Zahlenreihen, die aus einem Zufallsgene­ra­tor stammen, eine entdecken, die über eine bekannte Reihenfolge verfügt, z.B. 3,6,9,12,15,18, usw und nur diese als geordnet bezeichnen, ist das ein rein willkürlicher Akt, der nichts darüber aussagt, ob nicht auch die anderen Reihen in irgendeiner Weise geordnet sind. Lediglich unsere subjektive Entscheidung, was als geordnet gelten soll, erzeugt also in uns die Vorstellung von einer geordneten Wirklichkeit. D.h. wir picken uns aus einer unendlichen Anzahl von Möglich­keiten das heraus, was wir als Wirklichkeit erleben möchten und mei­nen, das sei die objektive Realität.

Das Beispiel mit der Mathematik ist für manchen vielleicht etwas zu abstrakt. Paul Watzlawick erwähnt in seinem Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ den Witz von der Laborratte, die ihrer Kollegin das seltsame Verhalten des Laborleiters erklärt:

„Ich habe diesen Mann so trainiert, daß er mir jedesmal Futter gibt, wenn ich diesen Hebel drücke.“ (Watzlawik, P.: a.a.O., S. 72)

Dieselbe Tatsache, daß nämlich auf einen Hebeldruck Futter ausgeteilt wird, kann also offensichtlich völlig unterschiedlich bewertet werden, und zwar je nach der individuellen Situation. Im Grunde gilt diese Problematik für alle Interaktio­nen. Was der eine aus Liebe tut, mag der andere als Strafe empfinden. Manche glauben, schwer zu arbeiten, während andere dieselben Bemühungen als oberflächlich und unnütz bezeichnen.

Ereignisse bekommen also nur ihren Sinn durch das Ordnungssystem, das wir ihnen als Teilnehmer oder Beobachter aufstülpen.

„Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können“ soll Einstein einmal gesagt haben, was gerade im Widerspruch zur wissenschaftlichen Auffassung von ob­jek­ti­­ver Messung bei Experi­men­ten besteht. Es läßt sich aber nicht leugnen, und darauf werden wir später noch eingehen, daß es eine elementare Bezie­hung zwischen dem Beobachter und der Beobach­tung gibt. Beide bilden eine Einheit, die nur auf der Basis einer grundlegenden Wechselbezie­hung erklärt werden kann. Und von diesem Standpunkt ist es nicht mehr weit zu den Vorstellungen der Esoteriker, die das Erleben dieser Welt als eine Spiegelung des individuellen Geistes bezeichnen und gleichzeitig in allem die fundamentale Einheit erkennen. „Alles in einem und das Eine in allem!“

Allmählich dürfte auch dem Hartnäckigsten unter den Lesern der Glaube daran verloren gegangen sein, daß die Welt so wie er sie erlebt, „wirklich“ ist. Aber wie ist sie denn, um das noch einmal zu fragen. Was sagt die Wissenschaft dazu? Welche Berührungspunkte bestehen zwischen ihr und der Esoterik in dieser Fra­ge?

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