9. Das esoterische Weltbild
Im Gegensatz zu unserer herkömmlichen, exoterischen Vorstellung, daß die Welt aus Dingen oder Objekten besteht, die gegeneinander abgegrenzt sich im Raum bewegen, geht das esoterische Weltbild davon aus, daß die Welt eine Einheit ist, in der die üblichen Unterschiede zusammenfallen.
„Alles ist Eins“ ist der Sinnspruch des Zen. Jeder steht mit jedem in Beziehung. Don Juan spricht von der Aufmerksamkeit anderer Menschen, die morgens und abends am geringsten ist und überall wirkt, gleich wo man sich befindet. Selbst Steine, Winde oder Wasserlöcher haben ein Bewußtsein und werden in das universale Beziehungsgeflecht einbezogen.
Das Bilden von Gegensätzen selbst und das Denken in Kategorien von Alles oder nichts bzw. Entweder oder gehört demzufolge zu den typischen menschlichen Vorstellungen, die mit der esoterischen Vorstellung einer übergreifenden Einheit nicht zu vereinbaren sind. Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Hell und Dunkel sind danach in Wahrheit keine Gegensätze, die sich gegenseitig ausschließen. Sie bilden nur die zwei Seiten einer Medaille und gehören tatsächlich zusammen.
Auch die Vorstellung, die Materie stehe im Gegensatz zum Geistigen, wird zurückgewiesen. Für den Buddhisten, aber auch für den Magier und für Don Juan, ist die Welt, wie wir sie erleben, eine Illusion. Der Materie haftet nichts eigenständig Reales an; sie existiert nicht für sich, sondern ist lediglich in der Imagination. Sie ist ein Akt des Glaubens, ein Zeugnis unseres Bewußtseinsstandes. Selbst unser Verständnis von Raum und Zeit gilt bloßer Entsprechung unserer Psyche. „Um uns herum ist die Ewigkeit“, sagt Don Juan. Erst auf einer höheren Stufe der Wahrnehmung, zum Beispiel in der buddhistischen Erleuchtung oder dem Sehen des Kriegers wird man dieser Einsicht gewahr.
Das Geistige, also das Immaterielle nach unserem Verständnis, ist ohnehin Dreh und Angelpunkt der Lehren über andere Wirklichkeiten. Die irdische Welt, das Erlebnis des Materiellen, ist nur eine Erscheinungsform des Geistigen unter vielen, wenn nicht sogar unter unendlich vielen anderen Formen. Das Bewußtsein des Materiellen wird als untere Ebene der geistigen Manifestation angesehen. Darüber türmen sich andere Erlebniswirklichkeiten, die in irgendeiner Weise parallel zu unserer Welt ablaufen und die wir möglicherweise im Traum aufsuchen, können. Den bekannten physikalischen Kräften liegt nach Meinung der Esoteriker eine feinstoffliche Kraft zugrunde, die verantwortlich ist für das Zustandekommen der geistigen Illusionen auf den verschiedenen Ebenen. Dieser Kraft bedient sich der Geist, um sein Ziel zu erreichen. Dieses Ziel wird als das Bewußtsein alles Seienden bezeichnet, das in einem Prozeß der Erkenntnis (Evolution) erfahren wird. Mit Worten läßt sich dieses Ziel eigentlich nicht beschreiben, weil es identisch ist mit dem Wesen dieser Welt an sich und damit alles und zugleich nichts ist.
Beschäftigen wir uns noch mit der Stellung des Menschen im Rahmen des esoterischen Weltbildes. Der Mensch ist wie all die anderen Objekte Träger des Geistes und damit des Bewußtseins. Um seine Funktion auf der Erde zu verstehen, muß man voraussetzen, daß der All Geist, aus welchen Gründen auch immer, aus dem ursprünglichen Zustand der absoluten Ruhe sich über Äonen in die Niederungen der irdischen Ebene begeben hat (Involution) und sich von dort in einem permanenten Prozeß der Bewegung und der Schöpfung zurück zur Einheit allen Seins entfaltet. In diesem Prozeß der Rückführung (Religion = Rückbeziehung) steht der moderne Mensch auf einer unteren Stufe des Bewußtseins. Allerdings ragt er mit seinen seelischen und geistigen Anteilen in die höchsten Sphären, die jedoch noch verdunkelt und ihm noch nicht zugänglich sind. Danach besteht der Mensch nicht nur aus seinem materiellen Körper, sondern gleichzeitig aus einer großen Anzahl von feinstofflichen Körpern, die, ineinander verschachtelt, ihn durchdringen bzw. umgeben. Unter diesen Körpern ist vor allem der Seelen oder Empfindungskörper, auch Astralkörper genannt, wichtig, da er dem materiellen Körper am nächsten steht und damit am ähnlichsten ist.
Der Astralkörper ist der Sitz aller Gefühle und des Denkens und behält auch nach dem physischen Tode zunächst seine Form, das heißt der Tote bleibt sich seiner Persönlichkeit solange bewußt, bis er aufgrund seines Karmas in die Wiederverkörperung gezwungen wird. Als Karma läßt sich alles bezeichnen, was dieser Seelenkörper in der Vergangenheit an Information gespeichert hat, wobei die Bindung an das Materielle, Egoistische eher negativ und die Öffnung zum Geistigen, Selbstlosen eher positiv wirkt. Hat jemand ein gutes Karma, so hat er die Möglichkeit im Nach Tod Zustand (Bardo), vom Rad der Wiedergeburt befreit zu werden. Andernfalls muß er je nach Schwere seiner Untaten eine bestimmte Zeit sowohl im Bardo als auch in himmel oder höllenähnlichen Gefilden verbringen bzw. bekommt auf der Erde eine neue Gelegenheit, seinen Lernprozeß zu vervollkommnen.
Es besteht allerdings die Möglichkeit, und darauf weisen die Erfahrungen der Mystiker, der Magier und die Lehren des Don Juan hin, schon zu Lebzeiten »auf die andere Seite« zu wechseln, das heißt den Schleier der Maya zu zerreißen und bei vollem Bewußtsein Eingang in die andere Wirklichkeit zu finden. Über den Weg dorthin gibt es unterschiedliche Auffassungen. Dies kann mit Hilfe eines erfahrenen Meisters wie im Zen oder im Falle Castanedas durch Don Juan geschehen. Aber auch der einzelne kann eine derartige Bewußtseinsveränderung oder besser gesagt: Bewußtseinserweiterung herbeiführen.
Die Techniken hierzu ähneln sich alle. An oberster Stelle steht die Aufgabe der Persönlichkeit, der Ego Tod oder auch das Verlieren der menschlichen Form. Allerdings geht es weniger darum, das Ich vollkommen abzutöten, sondern eher um eine Überhöhung oder Transzendierung der persönlichen Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle. Das Ego wird von seiner Position an die Seite gedrängt, es ist sowohl noch da als auch nicht da. Die Verringerung der Reizvielfalt, das Anhalten der Welt z.B. in der Meditation, beim Nicht Denken, ist weiterhin wichtig, um das Einfließen der feinstofflichen Energien zu ermöglichen. Krankheit oder Nah Todes Erlebnisse, unter Umständen bewußt herbeigeführt, können ebenfalls einen Einblick ins Jenseits verschaffen und verändern manchmal den jeweiligen Mensch von Grund auf. Schamanen sind hierfür ein treffendes Beispiel.
Der Wille oder die Fähigkeit zum Heilen stellt sich häufig automatisch bei geistig empfindsamen Menschen ein. Dies ist ein Resultat der Einheitserfahrung, deren Äquivalent die Liebe, das heißt die permanente Wechselwirkung zwischen den Teilen des Ganzen ist. Diese allumfassende Liebe kann auch dazu führen, daß sich hochentwickelte Wesen auf der Erde wiederverkörpern, im Falle von Jesus, um durch ihr beispielhaftes Verhalten (Aufgabe des Egos bis hin zum Tod) ein Licht in die Finsternis zu setzen.
Auf einer anderen geistigen Realitätsebene, der Astralebene, tummeln sich eine ganze Reihe von Wesen unterschiedlichster Provenienz. Am leichtesten zu identifizieren sind wohl die Seelenkörper gerade Verstorbener, die sich im Wartezustand auf die nächste Inkarnation befinden oder auf der Durchreise zu höheren Weihen sind. Weniger harmlos sind die Seelen von Menschen, die aus irgendwelchen Gründen in der Astralebene festgehalten werden und nun, koste es, was es wolle, dem Astralreisenden seine Energie abzapfen möchten. Sie sind es auch, die sich auf der Erde mit Spuk und Firlefanz bemerkbar machen. Geister oder Gespenster sind jedoch nicht die zentralen Elemente des esoterischen Weltbildes. Die geistige Natur der Materie, die Verbindung aller nur scheinbar abgetrennter Objekte zu einem Ganzen, Wirklichkeit als subjektive Interpretation, einschließlich der Vorstellung von Raum und Zeit das sind Kernaussagen der Esoterik.