Das Ding an sich

Teil 3: Das Gegensatz-Prinzip

1.10 Die Quelle der Erfahrung

Über die Entwicklung der Menschheit, über die Entstehung des Lebens, des Welt­alls im allge­meinen gibt es viele Theorien. Man könnte fast ketzerisch behaup­ten, daß es so viele Theorien gibt wie Menschen, die sich darüber Gedanken gemacht haben. Zumindest wechselten die Vor­stellungen über diese funda­men­ta­len Fragen im Laufe der Zeit je nach Entwicklungsstand mehrfach.

Der Bogen reicht von den Götter-Vorstellungen steinzeitlicher und antiker Kultu­ren über die religiösen Heilslehren bis hin zu den naturwissenschaftlich begrün­de­ten Erkenntnistheorien. Da­ne­­ben gibt es noch philosophische, esoterische und neuzeitliche Ideen über den Sinn und Unsinn der Schöpfung, mit denen ganze Bibliotheken gefüllt sind.

Wir wollen uns an dieser Stelle ganz allein auf das besinnen, was uns unser Alltagsverstand und vor allem unser Alltagsbewußtsein lehrt. Ich nehme an, daß Ihnen das auch schon oft passiert ist. Wenn ich einer Sache krampfhaft hinter­her­laufe, erspähe ich sie wie in der Geschichte mit der Möhre und dem Esel zwar ständig vor meiner Nase, ich erreiche sie aber nie. Lasse ich mich jedoch von der Ereignissen überraschen, d.h. lasse ich mein Bedürfnis los, erfüllen sich meine Wünsche häufig wie im Traum.

Ich kann mich noch gut an die Arbeit in einer Redaktion erinnern. Sobald ich mich mit einem Thema ernsthaft beschäftigte, aber nicht so recht wußte, wo ich anfangen sollte, fielen mir die Anregungen als Leserpost oder anderer Art auf den Tisch. Sie kamen nicht vorher und nicht hinterher, sondern in dem Moment, wo ich sie brauchte, ohne daß ich sie allerdings bewußt in Auftrag gegeben hatte. Ich hatte in meinem Unterbewußtsein einen Wunschzettel losgelassen, der prompt erfüllt wurde.

Oder ich fuhr jahrelang ein immer älter werdendes Auto, das ich aber nicht durch ein Neues ersetzen konnte, weil mir das Geld fehlte. In dem Moment, wo es nun endgültig seinen Dienst aufgab, hatte ich jedoch plötzlich das Geld, um ein anderes zu kaufen.

Wenn ich so zurückblicke, kann ich feststellen, daß ich eigentlich immer das bekommen habe, was ich brauchte. Das war zwar nicht immer das, was ich wollte, aber ich hatte es verdient. Was auch immer darunter zu verstehen ist.

Täglich passieren mir Dinge, die in diese Kategorie einzuordnen sind. Und ich möchte dafür wetten, daß es Ihnen genauso geht. Möglicherweise haben Sie derartige Vorgänge bisher allerdings zwar bemerkt, aber sie konnten sie nicht richtig einordnen. Zufall heißt es dann, und man geht zur Tagesordnung über.

Doch genug der Vorrede. Ich hatte bereits erwähnt, daß das Schlüsselereignis zu den Kernthesen in diesem Buch die Information war, daß bei einem Schuß die Kraft, die die Kugel nach vorn treibt, gleich der Kraft ist, die das Gewehr an die Schulter drückt (Rückschlag). Beide zusammen­genom­men (nämlich die positive Kraft nach vorn und der negative Rückschlag nach hinten) ergibt rechnerisch Null. Was heißt das: Null?

Das heißt, daß, bevor der Schuß ausgelöst wird, lediglich ein Potential vor­han­den ist. Dieses Potential besteht im wesentlichen aus dem Pulver der Munition, der Kugel, dem gespannten  Gewehr und dem Menschen. Solange niemand abdrückt, passiert überhaupt nichts (Null-Zustand). Es ist aber alles da, damit etwas passieren könnte (Potential).

In dem Moment, wo das Pulver zündet, saust die Kugel mit der gleichen Kraft nach vorne, wie das Gewehr nach hinten geschleudert wird. Ein Gegensatz wird geboren. Ein Gegensatz, der in beide Richtungen gleich stark ist. Die Kugel schlägt ein. Die Schulter schmerzt. Und wieder herrscht das Potential. Vielleicht hat die Kugel jemanden umgebracht. Neue Gegensätze könnten aufbrechen. Bis dahin ruht die Geschichte.

Die Idee, die sich dabei mir in den Kopf setzte, war, daß möglicherweise alles, was wir tun und lassen, was wir beobachten und erleben können, auf diese Weise funktioniert.

Immer dann, wenn sich etwas verändert, verändert es sich gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen. Die Kraft, die wir brauchen, um nach vorn zu kommen, benötigen wir in umgekehrter Richtung z.B. als Widerstand, um uns abzudrücken. Wenn wir diesen Widerstand wie im luftleeren Raum nicht haben, nützt uns die Bewegung von Armen und Beinen nichts. Wir brauchen immer den Gegenpol, also hier den ruhenden, unbeweglichen Teil z.B. die Kabinen­wand einer Raumfähre, um uns nach vorn zu bewegen. Rein physikalisch gesehen, bewegt sich auch die Kabinenwand, nämlich genau in die entgegengesetzte Richtung. Allerdings merken wir dies nicht, weil es sich aufgrund unseres geringen Kraftaufwands nur um minimale Bewegungen handelt.

D.h. wenn man das Ganze betrachtet, erzeuge ich die Bewegung nach vorn, indem ich eine Bewegung nach hinten mache. Klingt eigentlich ziemlich unsinnig. Zumal der Kraftaufwand, den ich nach hinten lenke, dem entspricht, der mich nach vorne bringt. D.h. die potentielle Kraft, die mir zur Verfügung steht, wird nicht nur geteilt, sondern sie hebt sich auf! Es wird nichts gewonnen, aber es geht auch nichts verloren. Also Null.

Nun werden Sie natürlich sagen, daß das alles Unsinn sei. Genauso wie die Kugel ihr Ziel findet und der Astronaut sich zielgerecht bewegt, wird doch tatsächlich etwas gewonnen. Sicherlich haben Sie Recht, wenn Sie nur die eine Seite betrachten. Aber jedem Ertrag stehen auch die Kosten gegenüber. Es gibt bekanntlich nichts umsonst. Überlegen Sie einmal, wieviel Aufwand getrieben wird, um eine Raumfähre ins All zu schießen.

Sicher erreichen wir Ziele, aber was gewinnen wir dabei? Was bleibt denn unter dem Strich übrig, wenn wir unser Leben betrachten? Wir werden geboren, um wieder zu sterben. Dazwischen strampeln wir uns nach dem bißchen Glück ab, das uns vergönnt ist. Der eine mehr, der andere weniger. Wir leben auf Kosten anderer. Nicht nur häufig auf Kosten anderer Menschen, auch auf Kosten von Pflanzen oder Tiere, die wir essen oder sonstwie verdrängen oder umbringen. Wir sind ständig dabei, die Ressourcen unseres Erdballs zu vernichten. Sei es, indem wir wertvolle Energieträger wie Kohle, Öl oder Gas durch den Schorn­stein jagen oder Benzin im Otto-Motor zur Explosion bringen, damit wir beque­mer voran kommen. Selbst bei jedem Atemzug vernichten wir bestimmte chemi­sche Verbindungen. Und letztlich leben wir alle von der Sonnenenergie, die be­kannt­lich nur für eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Also Leben und Tod hängen wirklich eng zusammen. Des einen Gewinn, ist des anderen Verlust. Da bleibt nichts übrig.

Ein Potential spaltet sich und heraus kommt dabei ein Gegensatz, der zusam­men­gesehen keine wirkliche Veränderung bewirkt, sondern wieder nur ein Ganzes ergibt. Ein Ganzes, das sowohl unendliche Möglichkeiten bietet, wie aber auch rein rechnerisch einer Null gleicht. D.h. jedes Mal, wenn dieses Potential angezapft wird, entsteht etwas, das nachweisbare Wirkungen erzielt und zwar in der einen Richtung genauso wie in der anderen Richtung. Allerdings wird dadurch nichts geschaffen, was jemand von außerhalb, wenn das möglich wäre, als Gewinn ansehen würde.

Die Gewichte werden lediglich verschoben.

Im New Yorker Busbahnhof steht ein Glaskasten mit einem fürchterlich schei­nen­den Maschinen­mon­ster, in dem es ständig klappert, gongt, seufzt und quietscht. Räder drehen sich, Kugeln rollen, Scheiben rotieren. Alles ist in ständi­ger Bewegung. Man könnte meinen, daß dort tüchtig gearbeitet und etwas Wich­ti­ges hergestellt wird. Aber wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, daß dort gar nichts produziert wird. Das Räder- und Kugelwerk bewegt sich eigent­lich nur, um sich zu bewegen. Jedes Teil ist in seiner Bewegung auf die anderen Teile abgestimmt. Wenn rechts eine Kugel herunterfällt, steigt links eine auf. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um ein perpetuum mobile. Der Strom, der als Ergänzung notwendig ist, kommt aus der Steckdose außer­halb dieses Systems.

Jetzt können Sie natürlich fragen, wo denn unsere Steckdose sei, die wir für unser eigenes Räderwerk gebrauchen. Energie, so heißt es im 2. Hauptsatz der Thermodynamik, geht nicht ver­lo­ren, sondern wird nur umgewandelt. Und zwar in brauchbare und in unbrauchbare. D.h. wir leben in einem System, in dem der Anteil an brauchbarer Energie immer geringer wird (siehe Sonnen­energie). Wir verschieben, wie gesagt, nur die Gewichte. Kurzfristig zu unserem Vorteil, lang­fristig zu unserem Nachteil. Wie sollte es auch anders sein.

Mit anderen Worten: Wir sind selbst ein Maschinenspiel. Wenn wir unsere Welt aus einer anderen Dimension betrachten könnten, würden wir das Ganze sehen können. Die Gegensätze vereint.

Leider ist uns diese Position nicht vergönnt. Wir stecken mittendrin. Wir sind selbst ein Teil des Ganzen und plagen uns mit den von uns erzeugten Gegen­sätzen herum. Am besten wäre es, wenn wir mit dem Erzeugen aufhörten, dann hätte die liebe Seele ihre Ruhe. Die Frage ist aller­dings, ob wir das wollen, ob wir das können, und was dann mit uns passiert.

Bevor wir jedoch darauf eingehen, noch ein paar Bemerkungen zu diesem Po­ten­tial, von dem gerade die Rede war. Was ist das für ein Potential, woraus besteht es, wo ist es, usw. Ich denke, daß wir uns hier von den üblichen Vor­stel­lun­gen vollkommen lösen müssen. Dieses Po­tential, man könnte vielleicht auch Gott dazu sagen, ist überall und gleichzeitig nirgends, zu­mindest nir­gends, wo wir es finden könnten. Alles, was wir jemals gedacht haben, heute den­ken und in der Zu­kunft denken werden, gehört zu diesem Potential. Jeder Mensch, der einmal ge­lebt hat, heute lebt und in Zukunft leben wird, gehört dazu. Ebenso alle Tiere, Pflanzen, Plane­ten, Son­nen, Uni­ver­sien. Dieses Potential enthält die Zukunft, die Gegenwart und die Vergan­gen­heit. Es ist all­wis­send, allmächtig, allgegenwärtig und überaus gerecht. Nichts entgeht ihm, jede Tat wird be­lohnt oder bestraft. Es gibt jedem das, was er verdient. Es ist im Grunde unpersönlich, kalt und me­cha­nisch. Trotzdem kann es uns als warmherzig, liebend, allum­fas­send und beschützend erscheinen.

Nun habe ich genug Lobpreisungen auf dieses Potential gesungen. Man könnte fast meinen, wir wären in der Kirche. Und in der Tat, ich bin überzeugt davon, daß die Kirche, allen voran Jesus Christus das gleiche meint, wenn er von sei­nem Vater spricht. Und Buddha, wenn er über das ES redet, meint ebenfalls das Gleiche. Alle sprechen über das gleiche. Die Mohammedaner mit ihrem Allah, die Indianer mit ihrem Manitou, und die Götterwelt der Antike gehört auch dazu.

Doch, wir wollen nicht über Religionen sprechen, obwohl es eigentlich nur um dieses Thema geht(?!). Dieses Potential ist also überall, wobei allerdings diese Begrifflichkeit nur hilfsweise herangezogen werden kann, um es zu beschreiben. Jedes Wort, das wir benutzen, ist einseitig und wird damit der Ganzheitlichkeit des Potentials nicht gerecht. Das Potential kann man nicht erklären, selbst wenn es so aussieht, als ob ich das tun würde. Buddha sagt dazu:

Wenn sie dich voll Neugier fragen und wissen möchten,

was ES ist,

Sollst du nichts bejahen und nichts verneinen.

Denn was immer bejaht wird, ist nicht wahr.

Und was immer verneint wird, ist nicht wahr.

Wie soll einer wahrheitsgetreu sagen, was DAS ist,

Solange er selber das Seiende nicht völlig erreicht hat?

Und nachdem er’s gefunden, welch ein Wort soll er senden aus Höhen,

Wo der Rede Fahrzeug nicht Gleise findet, darauf zu rollen.

Drum halte den Fragern Schweigen entgegen-

Schweigen – und einen Finger, weisend den Weg.“

(Watts, A.: Vom Geist des Zen, Basel 1984, S. 72)

Trotzdem würde ich gern noch ein wenig weiter mit Ihnen über dieses Potential philosophieren. Restlose Klarheit werden wir dadurch zwar nicht erreichen, aber vielleicht bekommen wir ein Gefühl dafür, was es sein könnte.

Aus welchem Stoff besteht es?

Nun, wir haben ja schon gesagt, daß es alle möglichen Formen annehmen kann. Der Grundstoff ist eigentlich die Kraft, die Potenz, die sich z.B. in dem abbildet, was wir Materie nennen. Oder in dem, was wir Raum oder Zeit nen­nen. Es ist kein Stoff im herkömmlichen Sinne. Wir können nicht darauf bauen, zumindest nicht für die Ewigkeit, obwohl es für die Ewigkeit gemacht ist. Das klingt verwirrend, läßt sich aber nicht ändern. Im Grunde handelt es sich um das, was die Physiker Energie nennen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was Energie ist.

Erklären kann man dieses Potential nicht. Es ist wie ein Nebel, der überall liegt. Der Formationen bilden kann, ganz nach Belieben. Eine plastische Masse, die sich gedankenschnell verändert. Aus der wir letztlich selbst bestehen. Die Bilder un­serer Wirklichkeit, also unsere Spiegelbilder, ähneln einer Fata Morgana. Sie sind Spiegelungen unseres Geistes, der selbst aber auch nur eine Fata Morgana ist.

Das ist starker Tobak, nicht wahr? In diesem Moment spreche ich Ihnen die Rea­li­tät Ihrer Existenz ab und behaupte, daß Sie nur eine Luftspiegelung sind, ähn­lich wie ein Regenbogen. Blödsinn, oder? Ihre Erfahrung spricht schließlich da­ge­gen. Aber welchen Wert haben schon Erfahrungen?

Aber trösten Sie sich. Mir geht es genauso wie Ihnen. Überlegen wir lieber, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen. Wirklichkeit entsteht, und wir glauben, wir seien nur die Opfer schicksalhafter Mächte. Dabei haben wir es selber in der Hand, die Erfahrungen zu schöpfen und zu steuern.

Das Grundprinzip ist das Gegensatzprinzip. Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es wieder hinaus. Eigentlich ganz einfach. Egal, was wir tun. Wenn wir etwas tun (Denken, Fühlen, Handeln), dann erschaffen wir einen Gegensatz. Machen aus der Null eine -1 und eine +1, oder -2 und +2. Mathematisch gesehen heißt die Gleichung

1 – 1 = 0 oder 2 – 2 = 0, etc

Beide Seiten sind gleichgewichtig. Wie gesagt, es wird nichts gewonnen. Der Ursprungszustand, nämlich

0 = 0

wird nur umgewandelt. Die Null auf der linken Seite der Gleichung wird durch eine gleichwertige, aber gegensätzliche Zahlenkombination, die für jeden denkbaren Gegensatz schlechthin steht, eingetauscht. Der Gesamtwert bleibt Null, wie bereits gesagt.

Wie kommen wir eigentlich dazu? Warum lassen wir uns überhaupt auf dieses Gegensatzspiel ein?

Die Gegensatzpaare sind, wie gesagt, normalerweise nur potentiell vorhanden, d.h. wir bemerken sie nicht. Aber in dem Moment, wo wir eine Seite betonen, also in unserer Gleichung

0 = 0

aus einer Null eine 1 oder 2 machen, entsteht die Ungleichung

1 # 0, 2 # 0, etc.,

werden wir automatisch mit dem Gegenteil konfrontiert. Wenn wir Licht haben wollen, erfahren wir die Dunkelheit. Wer von Moral spricht, verdammt die Sünde. Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Die Zwangs-Automatik des Potentials läßt keine andere Möglichkeit zu. Die Gleichung kann nicht ungleich bleiben. Aus

1 # 0 wird

+1 – 1 = 0, was man auch

zu 1 = 1, 2 = 2, etc.

umformen kann. Und dann stimmt die Gleichung wieder.

 

Zuviel Mathematik?

Auf Kinderspielplätzen gibt es ein Spielgerät, das wie eine Waage konstruiert ist. Sobald sich ein Kind auf die eine Seite setzt, geht diese nach unten und die andere Seite steigt in die Höhe. Es sei denn, ein gleichgewichtiges anderes Kind sitzt ihm gegenüber. Immer dann, wenn wir etwas wollen oder uns vor etwas fürchten, also Gewicht auf die Waage legen, müssen wir uns mit dem Gegensatz auseinandersetzen. Er steigt aus dem Nichts des Potentials wie Phönix aus der Asche. D.h. auch wir selber steigen aus dieser Asche. Denn auch die Erfahrung unserer eigenen Person bedingt einen Gegensatz bzw. eine ganze Menge davon. Damit hatten wir uns bereits in dem Kapitel über das Verhältnis zwischen Innen und Außen beschäftigt.

Wir sind also ständig dabei, Gegensätze in den Raum zu spinnen (einschließlich desselben), denn “wollen” wollen wir ständig etwas. Essen, Trinken, Schlafen, usw. Allein mit der Befriedigung dieser Grundbedürfnisse und der Schaffung der entsprechenden Voraussetzungen sind wir schon den größten Teil des Tages über beschäftigt. Was würde passieren, wenn wir darauf verzichten könnten. Wir würden sterben!

Na und, könnte ich jetzt ketzerisch behaupten. Unsere Gleichung würde nur umgeformt. Aus meinetwegen

10 = 10 würde wieder

10 – 10 = 0 und das heißt

0 = 0.

Es wäre nichts gewonnen und nichts verloren.

Ich sehe Sie schon den Widerstand kräftig hinunterschlucken. Wie geht der mit sich und mir um? Ist ihm das Leben denn völlig egal? Natürlich nicht, meine Damen und Herren. Im Gegenteil, ich versuche möglichst viel daraus zu machen. Und was kommt dabei heraus? Ich werde mit dem Gegensatz konfrontiert. Siehe oben.

Ist Ihnen das nicht auch schon häufig passiert? Wenn Sie dringend einen Parkplatz in der Innenstadt suchen, weil Sie einen Termin beim Arzt haben, werden Sie keinen guten oder mit Verspätung einen Schlechten finden. Lassen Sie sich aber Zeit, weil Sie gut geplant haben, also entkrampft sind, finden Sie einen Platz direkt vor der Praxis, auch im dicksten Verkehr.

Typisch ist die Prüfungssituation. Wenn Sie das Gefühl haben, jemand will Sie ausfragen, um dann gegebenenfalls ein Urteil über Ihre Intelligenz zu fällen (in echten Prüfungen, aber auch z.B. bei Gesellschaftsspielen), werden Sie nervös, und es fallen Ihnen nicht einmal die einfachsten Sachen ein. Also genau das Gegenteil von dem, was Sie eigentlich leisten sollen bzw. wollen. Hinterher oder im normalen Alltag fällt Ihnen intuitiv eine ganze Enzyklopädie ein.

Oder Sie reihen sich in die Warteschlange vor der Kasse eines Supermarktes ein, sehen dann, daß es in der Nebenreihe scheinbar schneller geht, wechseln ihren Standort und müssen feststellen, daß eine ältere Dame vor Ihnen nicht genug Geld dabei hat und Sie ohnmächtig zuschauen dürfen, wie sich durch die sich daran anschließende Prozedur ihre ehemalige Reihe an Ihnen vorbei­schiebt. Simple Alltagsgeschichten, die wir akzeptieren, ohne nachzudenken.

Es gibt also Situationen, in denen wir durch krampfhaftes Betonen eines Gegensatzes mit dem Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen, konfrontiert werden und es gibt Situationen, wo alles wie geschmiert läuft.

Wie paßt das Letztere eigentlich in unser Modell? Wenn alles reibungslos funktioniert, entsteht ja auch kein Gegensatz, oder? Trotzdem handelt es sich dabei um eine Erfahrung.

Nun, nehmen wir an, Sie träumen jahrelang vom Lottogewinn, spielen auch regelmäßig, und eines Samstagabends stellen Sie fest, daß genau Ihre Zahlenkombination gezogen wurde. Sie haben nur leider das Pech, daß Sie ausnahmsweise an diesem Wochenende vergessen haben, den Schein abzugeben. Wenn Sie nun trotzdem nicht aus dem Fenster springen oder sich zumindest vor Wut in den Arm beißen, sondern ihr Schicksal locker und ergeben ertragen, kann es Ihnen passieren, daß Ihre Frau Ihnen am anderen Morgen beiläufig erzählt (sie hat bei einer Freundin übernachtet), daß sie den Schein schnell noch am Freitagabend weggebracht hat.

Also, Sie mußten sich nicht mit dem Gegensatz Ihrer Träume abplagen, weil Sie ein abgeklärter Mensch sind, nach dem Motto: Wenn es klappt, ist es gut; wenn nicht, ist auch gut. Trotzdem hatten Sie ein Ziel im Auge und haben es auch erreicht. Insofern ist kein Gegensatz entstanden, nämlich der zwischen Hoffnung auf Gewinn und ohnmächtiger Wut vor Enttäuschung. Die Erfahrung hingegen, daß Sie über Nacht steinreich geworden sind, beruht natürlich auf dem Gegensatz zwischen Gestern und Heute, zwischen dem Dasein als arme Kirchenmaus und dem als Millionär.

Ähnlich ist es mit dem Traum-Parkplatz vor der Arztpraxis. Wenn Sie sich vorher keine Gedanken machen, lediglich Ihren Wunschzettel als Bild loslassen, dann reiht sich der passende Parkplatz automatisch in die Abfolge Ihrer Wirklichkeit. Im Idealfall bemerken Sie ihn erst gar nicht oder nehmen ihn wertungslos wahr. Hüten Sie sich vor Überheblichkeit, daß Sie wieder einmal gezaubert hätten oder so ähnlich. Dann kann es passieren, daß kurz vor Ihnen noch jemand in die Parklücke einschert oder Sie nachher den Wagen an anderer, kostenpflichtiger Stelle abholen können.

Wir haben also zwei Möglichkeiten, Wirklichkeit zu erzeugen. Einmal, indem wir als Opfer und Täter zugleich erscheinen, d.h. wir erschaffen aus dem Nichts des Potentials eine Hälfte eines Gegensatzes und werden dann automatisch mit der anderen Hälfte konfrontiert (meistens unfreiwillig und unbewußt). Dieses Betonen eines Gegensatzes kann man auch als Einseitigkeit bezeichnen. Wer nur Schreibtischarbeit verrichtet, benötigt einen körperlichen Ausgleich in Form von Jogging und Gymnastik. Wer nur arbeitet, ohne sich zwischendurch die notwendige Ruhe zu gönnen, wird über kurz oder lang krankheitshalber zur Ruhe gezwungen. Wer bei seinen Unterlagen aufgrund von Zeitmangel nicht eine gewisse Ordnung aufrechterhält, wird eines Tages mehr Zeit ins Suchen investieren müssen, als ihm lieb ist.

Bleiben wir jedoch zweiseitig oder gleichgewichtig, erfüllen sich unsere Wünsche wie von selbst. Das Innere findet seine Entsprechung im Äußeren, oder man kann auch sagen, daß Äußere paßt sich dem Inneren an oder umgekehrt. Der Gegensatz z.B. zwischen einem guten und einem schlechten Parkplatz wird uns kaum bewußt, da ja bei dieser Einstellung der schlechte Parkplatz genauso akzeptiert wird wie der gute. Gut und schlecht werden austauschbare Begriffe, genauso wie plus oder minus, arm oder reich, usw. Aus der Sicht unserer Gegensatz-Gleichung entsteht aus der Ursprungsgleichung

0 = 0

ohne Verzögerung, statt

1 # 0

sofort

1 = 1, etc

da ja beide Seiten gleichgewichtig realisiert werden. Wir schaffen damit zwar einen Gegensatz, aber er ist uns gleichgültig, d.h. gleichwertig. Wenn das so ist, könnten wir es ja auch lassen. Aber damit beschäftigen wir uns später noch.

Zusammengefaßt:

Wenn ich etwas für sehr wichtig halte und es unbedingt haben oder umgekehrt unbedingt vermeiden möchte, schaffe ich ein Ungleichgewicht. Ich erreiche in der Regel das Gegenteil, von dem, was ich möchte. Aus 1 # 0 wird +1-1 = 0 oder 1 = 1. Wenn ich einen Wunsch ohne diese Komplikationen realisieren will,  also einen Gegensatz z.B. zwischen Arm und Reich oder zwischen einem guten und einem schlechten Parkplatz schaffen möchte, dann muß ich das Gleichgewicht halten. Und zwar das Gleichgewicht zwischen Wunscherfüllung und Nicht-Erfüllung. D.h. mit anderen Worten: Ob sich der Wunsch realisieren läßt, muß mir gleichzeitig völlig egal sein und trotzdem mein Herzenswunsch sein. Also eine Einstellung, die man als schizophren bezeichnen könnte. Aber sie entspricht völlig dem bislang Gesagten. Die Welt der Erfahrung ist die Welt der Gegensätze. Wir werden dort solange als Jojo hin- und herpendeln, bis wir gelernt haben, uns nicht nur als unbewußtes Opfer zu fühlen, sondern auch als bewußter Täter zu handeln.

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