Das Ding an sich

Teil 3: Das Gegensatz-Prinzip

1.8 Der Blick in den Spiegel

Innen und Außen, zwei Gegensätze, die getreu der Definition getrennt in Erscheinung treten, aber wie die Bilder einer Münze letztlich zusammengehören und diese erst Gestalt annehmen lassen. Das beginnt bereits beim Menschen selber. Es gibt Personen, die den Charakter eines Menschen schon bei seinem Anblick zu erkennen glauben, und zwar entsprechend einer bestimmten Typologie bezogen auf das äußere Erscheinungsbild. Die Größe der Hände, die Form des Kopfes oder der Nase, die Art des Ganges bis hin zur Sprache und zur Kleidung. Alles ist Ausdruck innerer Vorgänge, Einstellungen, Haltungen.

Wenn wir uns vor einen Spiegel stellen, sehen wir in die Welt unserer Gefühle, unseres Geistes, unserer Wünsche und Probleme. Haben wir gerade im Lotto gewonnen, sind befördert worden oder haben eine gute Note bekommen, dann strahlt unser Gegenüber, lächelt oder grinst vor Freude, tänzelt wie ein Boxer und haut jedem, dem er begegnet, vor Begeisterung auf die Schul­ter. Ist dagegen jemand, der uns nahe stand, gestorben, eine Beziehung ist zu Bruch gegangen, oder man ist aus welchen Gründen auch immer depressiv, dann ist das Spiegelbild düster und traurig. Aus den Lachfalten werden dann Kummerfalten, die Augen sind verquollen, die Haare hängen wirr ins Gesicht. Bleiche Haut, hängende Gestalt, ein wahres Elend. Bei schock­artigen Erlebnis­sen können die Haare von einem Tag zum anderen grau werden. Das Alter verrät sich ohnehin.

Aber der Blick in den Spiegel geht weiter als wir denken. Die Welt um uns herum ist genauso ein Spiegelbild von uns. Und zwar gibt es einmal wie beim richtigen Spiegelbild die Entsprechung. Das ist das, was mit uns genau übereinstimmt (Die Haare sind im Spiegel genauso blond oder braun wie beim Original) und es gibt den negativen Abdruck, also das, was man beim Spiegelbild als seiten­ver­kehrt bezeichnet (Deshalb muß man erst lernen, den Fön richtig zu benutzen), was den eigentlichen Gegensatz darstellt.

Eine Entsprechung liegt vor, wenn jemand, der als fleißig und tüchtig gilt, zu Geld kommt und sich dann ein entsprechendes Auto, eine entsprechende Wohnung mit entsprechendem Inventar und einen sonstigen entsprechenden Lebensstil leisten kann. Die Charaktereigenschaft “fleißig und tüchtig” findet hier­bei, was natürlich auch nicht immer so sein muß (dann ist derjenige vielleicht nicht verkaufstüchtig genug oder noch zu jung), seine Entsprechung in dem adäquaten Verdienst (sprich Geld). Das innere Bild taucht im äusseren Milieu wie­der auf. Ein Phänomen, das auch als Selbstähnlichkeit bezeichnet wird. Wenn wir genauer hinsehen, können wir um jeden Menschen einen Kreis zie­hen, in dem genau die Personen, Tiere oder Gegenstände auftreten, die zu ihm passen, ihm sogar ähnlich sind. Die Ehefrau, die Kinder, der Hund, das Auto – alle passen in der Regel zusammen, sind aus einem Guß.

Wir drücken sozusagen unserer Umwelt unseren Stempel auf. Etwa so, als ob wir unsere Faust in eine weiche Masse drücken. Wenn wir sie herausziehen, bleibt eine Höhle übrig, die genau unserer Faust entspricht, allerdings eben hohl ist (negativer Abdruck) und damit als seitenverkehrt oder gegensätzlich bezeich­net werden kann.

Und so formen wir ständig unsere Umwelt als Höhle (Gegensatz) zu unseren Wünschen, Bedürf­nis­sen, Handlungen. Unsere Wirklichkeit ist in Wahrheit eine Höhle im Sinne eines negativen Ab­drucks oder eines seitenverkehrten Spiegel­bildes, die nach unserem Willen ( bewußt oder unbe­wußt) gestaltet ist.

Sind Sie sich der Bedeutung dieser Aussage bewußt? Ich vermute, daß Sie diesen Schritt nicht nachvollziehen wollen oder können. Dabei handelt es sich hierbei um die bislang fundamentalste Aussage überhaupt. Es wird behauptet, daß die jeweilige Umwelt eines Individuums (andere Personen, Lebensumstän­de, Ereignisse) zu diesem paßt wie der Deckel auf den Topf oder die Maus zur Mausefalle. Beides gehört, obwohl gegensätzlich angelegt, zusammen und ergibt erst dann einen Sinn oder eine Einheit. D.h. wem auch immer, zu welcher Zeit und an welchem Ort, Sie begegnen, was auch immer Ihnen passiert, ist Ausdruck oder Abdruck des inneren Bildes, das Sie mit Ihren Wünschen und Sehnsüchten, Ihren Ängsten und Sorgen malen. Es gibt keinen Zufall, kein Schicksal, kein Glück und kein Pech, sondern lediglich eine Entsprechung.

D.h. auch gleichzeitig, wenn Sie an Ihren Lebensumständen etwas ändern wollen, dann müssen Sie sich ändern! Mehr dazu später.

Platons Höhlengleichnis, um darauf noch einmal zurückzu-kommen, meint nichts anderes. Wenn wir lernen, die Schatten auf der Wand der Höhle, von denen wir glauben, daß sie unser Leben darstellen, als negativen Abdruck unseres Selbst zu erkennen, dann können wir uns umdrehen und durch den Ausgang das wahre Ich, was auch immer das sei, kennenlernen.

Das hört sich jetzt recht prophetisch an. Salbungsvolle Worte sind allerdings nicht unbedingt mein Stil. Mir geht es um nüchterne Selbsterkenntnis, und zwar um meine und um Ihre.

Jetzt werden Sie vielleicht wieder mit dem Kopf schütteln und sich fragen, was ich denn mit Ihrer Selbsterkenntnis zu tun habe, außer daß ich ein Buch schrei­be, das vielleicht dazu dient. Die Antwort ergibt sich von selbst. Sie und ich gehören zusammen, ob Sie und ich das nun wollen oder nicht. Sie sind mein Spiegelbild. Und ich das Ihrige, nebenbei bemerkt.

Ich hoffe, Sie fangen jetzt nicht an zu lachen. Ich sähe Ihnen ja nun überhaupt nicht ähnlich und dergleichen. Dann, fürchte ich, haben Sie den Test nicht bestanden und können nach Hause gehen.

Aber Spaß beiseite (Wir kommen noch darauf zurück), wie kann das mit dem Spiegelbild funktionieren? Eigentlich ist das ja klar. In dem Moment, wo Sie mein Buch in die Hand nehmen und darin anfangen zu lesen, werden Sie ein Teil von mir wie ich von Ihnen. Dieses Buch repräsentiert einen Teil von Ihnen, der um Selbsterkenntnis ringt und sich hoffentlich nicht dabei umbringt. Es ist der negative Abdruck, also der äußere Gegensatz Ihrer Wünsche und Ängste, die in der Frage gipfeln, was dieses Tollhaus, genannt Leben, eigentlich soll. Also, woher wir kommen, wohin wir gehen. Und genau diese Fragen bewegen mich auch.

Umgekehrt sind Sie in dem Moment, wo ich dieses Buch schreibe, schon ein Teil von mir, da ich Sie erfunden habe. Ich rede mit Ihnen, obwohl es Sie noch gar nicht gibt. Nämlich als Leser die­ses Buches. Vielleicht wird es ja nie gedruckt oder es liest keiner. Trotzdem sind Sie schon da, nämlich als Phantasieprodukt. Und wenn Sie tatsächlich, so wie jetzt, dieses Buch lesen, dann habe ich Sie erschaffen. Dann ist meine Phantasie Wirklichkeit geworden bzw. dann treten Sie als Spiegelbild meiner Ideen auf den Plan. Dann habe ich Sie verwirklicht.

Wenn ich nicht wäre, könnten Sie jetzt nicht in diesem Buch lesen und wenn Sie nicht die Gestalt incl. ihrer Wünsche und Ängste annehmen, von der ich hier ausgehe, dann bleiben meine Phantasien in meinem Inneren (oder als unge­le­se­nes Buch, was das gleiche ist) und erhalten keine Entsprechung im äußeren Be­reich. Durch die Tatsache, daß ich dieses Buch schreibe, erhalten Sie Kenntnis von mir (bin ich ein Teil Ihrer Wirklichkeit), und umgekehrt erfahre ich durch den Verkauf, allgemeine oder spezielle Reaktionen, daß es Sie als Leser gibt.

Also, Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen, wir sind auch auf die Zukunft hin untrennbar miteinander verbunden. Selbst, wenn Sie im Augenblick weniger als die Hälfte von dem verstehen, was hier behauptet wird, werden Sie die Erinnerung an dieses Buch und damit an mich nicht mehr los.

Jetzt muß man natürlich dagegen setzen, daß Sie bis zu diesem Augenblick offensichtlich auch ohne mich gelebt haben, und ich nehme an, nicht gerade schlecht. Trotzdem behaupte ich, daß ich Sie erfunden habe. So als ob Sie meine Marionette wären. Einer meiner Statisten, die ich als Bühnenbildner brauche oder sogar als Mitspieler, mit denen ich auf der Bühne meines Lebens mein Spiel spiele, das Spiel meines Lebens.

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