Das Ding an sich

Teil 3: Das Gegensatz-Prinzip

2. Carpe diem (Nutze den Tag)

2.1 Dreizehn Übungen im Nicht-Tun

2.1.1 Dein Körper und Du

Beginnen wir mit dem, was uns am nächsten ist. Unser eigener Körper. Am besten stellen wir uns nackt vor einen Spiegel. Was sehen wir?

Wenn Du glaubst, Du siehst Haut und Muskeln, Arme und Beine, dann irrst Du Dich oder sagen wir einmal, das ist nur oberflächlich so. Tatsächlich siehst Du Deine Gefühle, Deine Gedanken, Deine Stärken und Schwächen; das, was Du verdrängst, nicht wissen willst; das, was Du möch­test, aber nicht zu tun wagst. Es ist ein Blick in die Tiefe Deiner Seele, Deines Unterbewußtseins, auch wenn es offen vor Dir steht.

Der seelische Zustand, so beschreibt es der amerikanische Autor Ken Dychtwald, wird durch den Körper reflektiert und als Psychoanatomie bezeichnet. D.h. durch die Haltung, die Ausprägung, durch den Körperbau, den Gang, Muskel­verspan­nun­gen bis hin zu anatomischen Merkmalen (Verkrüppelungen), ja bis hin zu Unfällen mit bleibenden Schäden, Operationsnarben, sogar bis zur Haarfarbe und -fülle kann man getreu unserer theoretischen Annahmen über den Gegensatz zwischen Innen und Außen einen Einblick (KörperBewußtsein) in die Seele eines Menschen gewinnen.

Dabei ist der Körper natürlich auch als Ganzheit zu sehen. In dem Moment, in dem wir ihn zerteilen, also Unterscheidungen machen z.B. zwischen Kopf und Rumpf, erzeugen wir wieder Gegensätze. Gegensätze, die trotz ihrer Gegen­sätz­lichkeit zusammengehören. In der Iris-Diagnostik beim Heilpraktiker wird dieses Wissen angewandt. Auch die Fußreflexzonen-Wissenschaft gehört dazu. Und selbst das Handlinien-Lesen deutet darauf hin, daß sich in jedem Teil das Ganze widerspiegelt.

Eines der wichtigsten Bestandteile der Psychoanatomie des Körpers sind die Füße. Sie geben dem Menschen Halt und ein Gefühl der Sicherheit. Sie symbolisieren Unterstützung, Balance und Mobilität und gehen einher mit einem Gefühl von Autonomie. Dychtwald (in: Das KörperBewußtsein, Essen 1981) unterscheidet zwischen fünf verschiedenen Fußtypen. Flache Füße z.B. können den Boden nicht greifen, sie gleiten darüber, sie ermöglichen nicht die Verbindung zum Boden, die der Mensch braucht, um sich gestützt zu fühlen. Wer aus Unsicherheit dagegen immer den Boden regelrecht umklammert, sieht so aus, als wollte er mit seinen Zehen, selbst wenn sie entspannt sind, damit etwas aus­gra­ben. Andere Leute haben zehen­spitzen­betonte Füße, eine Art Traumtänzer, die zwar phan­ta­sie­voll und kreativ sein mögen, aber auch wirklichkeitsfremd sind. Ihnen fehlt die solide Basis, auf der sie stehen könnten.

Die Füße sind natürlich nicht isoliert vom übrigen Körper. Straffe Wangen, eine schmale Brust, angespannte Kniesehnen und geschlossene Knie treten häufig in Vebindung mit fersenbetonten Füßen auf. Es handelt sich um Menschen mit tief verwurzelten Gefühlen von Angst und Instabilität, die sie durch das entschlos­se­ne Auftreten zu kompensieren versuchen.

Wie dem auch sei, die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt ein komplettes Schema der Psychoanatomie (aus Gavin, J.: Welcher Sport für wen, München 1989)Wer sich näher damit befassen will, sollte die ange­ge­benen Bücher studieren. Eines ist auf jeden Fall sicher. Wenn Du herausf­indest, wie Deine Füße geformt sind und wie sie arbeiten, könntest Du versuchen, sie anders einzusetzen. So wie sich die Bewegungen der Füße ändern, werden sich auch die Körperbewegungen ändern – und somit wird es auch psychische Änderungen geben.

Dies gilt natürlich auch für die übrigen Körperteile. Jeder Teil repräsentiert zwar ei­nen bestimmten psychischen Bereich, hängt aber andererseits mit allen an­deren Teilen und Bereichen zusammen. Wenn wir einen Teil vernachlässigen, werden auch die anderen Teile davon berührt. Beim Fitness-Training nützt es des­halb nichts, wenn wir nur den Oberkörper kräftigen. Ein Bär auf spin­del­dürren Beinen sieht nicht nur komisch aus. Er repräsentiert auch ein Ungleich­gewicht, das unmittelbare Rückschlüsse auf seine psychische Verfassung zuläßt. Ein überentwickelter, aufgeblasener, angespannter Brustkorb mit kräftigen Mus­keln zeigt, daß die betreffende Person wahrscheinlich chronische Angstzustände durchlebt und eher mit Aggressivität und falscher Selbstsicherheit reagiert.

Es gibt allerdings auch scheinbar noch einfachere Übungen. Die meisten Menschen sind Rechtshänder und die anderen Linkshänder. D.h. fast alle sind einseitig in der Beweglichkeit ihrer Arme und Hände. Versuch einmal, eine Zeit­lang alles das, was Du meinetwegen bisher mit rechts gemacht hast, mit links zu tun. Du wirst sofort sehen, wie tolpatschig Du dich dabei anstellst.

Schreib z.B. ein paar Zeilen. Abgesehen davon, daß Du nicht einmal das Schreib­gerät richtig halten kannst, wirst selbst Du nicht Dein Gekrakel lesen können. Oder versuch einmal mit links Deine Zähne zu putzen, Dir die Haare zu fönen oder Squash zu spielen. Es wird Dir nichts zu Beginn gelingen, sondern Du mußt mühselig wie ein (Schul-)anfänger von vorn beginnen.

Neben der Stärkung Deines Willens liegt der Sinn solcher Übungen darin, daß Du Deine Gehirnhälften gleichgewichtiger trainierst, die bekanntlich für die bei­den Seiten des Körpers zuständig sind. Außerdem, wenn Du Dir beim Skifahren demnächst den rechten Arm brichst und damit in Gips kommst, bist Du auf die Umstellung bereits vorbereitet.

2.1.2 Bewegung tut Not

Wofür ist der Körper da? Vielleicht eine seltsame Frage. Auf jeden Fall ist er dafür da, damit wir in der materiellen Welt zurecht kommen, d.h. vor allem so lange wie möglich überleben, und zwar gut überleben.

Früher hatte der Körper noch eine wesentlich größere Bedeutung als heute. Damals war die Kör­perkraft, seine Schnelligkeit und Geschicklichkeit, von lebensentscheidender Bedeutung. Wer nicht fit genug war, war auch schnell weg vom Fenster. Außerdem waren die damaligen Beschäf­ti­gungen, jagen, Krieg­führen und Hausarbeit, dazu angetan, den Körper ständig im Training zu halten.

Das hat sich heute grundlegend geändert. Statt in Bewegung zu bleiben, um den Feind oder die Beute zu erobern, sitzen wir am Schreibtisch oder im Auto und bewegen allenfalls den Arm, um zu schreiben, zu telefonieren oder das Lenkrad. Auch die Hausarbeit ist durch Einsatz von Maschinen weniger anstrengend geworden.

Da wir uns nicht bewegen, d.h. den Körper in Form halten, verkrümmt sich un­ser Rückgrat, die Muskeln bilden sich zurück, das Körpergewicht nimmt zu, die Flexibiliät läßt nach. Wir altern vorzeitig und müssen uns mit den sogenannten Zivilisationskrankheiten herumplagen. Diese Einseitigkeit hat zur Folge, daß wir mit dem entsprechenden Gegenteil (Bewegung) konfrontiert werden. Uns bleibt nämlich nichts anderes übrig, wenn wir unser Wohlbefinden im Auge haben, einen Ausgleich zu unserer Einseitigkeit zu praktizieren, und das ist die Bewe­gung z.B. beim Sport oder bei jeder anderen Form von körperlicher Ertüch­ti­gung.

Natürlich können wir auch diese Tatsache negieren und einfach darüber hin­weg­gehen bzw. einfach sitzenbleiben. Aber dann  müssen wir uns darüber im klaren sein, daß sich diese Ein­sei­tigkeit aufschaukelt. Die negativen Folgen wer­den lawinenartig zunehmen. Unsere Gesundheit wird im zunehmenden Maße darunter leiden. Und wer will schon krank sein. Für körperliches Training ist es übrigens nie zu spät. In jedem Alter kann man, entsprechend dosiert, damit anfangen.

Außer­dem bringt Bewegung nicht nur einen Ausgleich für einseitige Belastun­gen. Der Abbau von Spannungen hat naturgemäß auch einen Energiegewinn zur Folge. Wir drehen sozusagen das Verhältnis um. Je mehr wir uns dem Gleichgewicht nähern, um so leichter fällt uns nicht nur das Training, sondern fühlen wir uns auch entspannter dabei. Unser Selbstbewußtsein steigert sich. Statt die Treppen hochzuschleichen, überspringen wir jetzt jedesmal eine. Unse­re Durchsetzungs­kraft ist größer. Wir gehen aufrechter und energievoller. Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß körperliches Training biologisch jünger macht. Und was will man mehr.

2.1.3 Du bist, was Du ißt

Eine alte Weisheit lautet: Der Mensch ist, was er ißt. In einem Artikel über Schwe­ine­fleisch und Gesundheit habe ich einmal gelesen, daß Schwei­ne­fleisch­esser an typischen Merkmalen zu erkennen seien. Der fette Nacken gehörte dazu.

Er­näh­rung. Wofür brauchen wir sie eigentlich? Ein anderer Begriff, nämlich Le­bens­mittel, gibt uns die Antwort. Ernährung brauchen wir zum Leben. Nahrung birgt die Energie, die unser Körper benötigt, um seine Funktionen aufrecht­zu­er­hal­ten. D.h. unser Wohlbefinden hängt davon ab, wieviel und vor allem auch welche Form von Nahrung wir in uns hineinstopfen.

Nahrungsmittel und Körper stellen aber auch einen Gegensatz dar, der dann in Erscheinung tritt, wenn ein Ungleichgewicht vorhanden ist. Wenn der Körper Energie benötigt, meldet sich der Hunger. Aber was braucht der Körper? Wenn er Schwerstarbeit zu leisten hat, braucht er natürlich auch schwere Kost, z.B. Steaks, Kartoffeln. Läuft er sozusagen nur im Leerlauf, weil rein geistig gear­bei­tet wird, benötigt er nur leichte Kost, also z.B. Salate, Gemüse. Achten wir da­rauf, was der Körper wirklich braucht, bleiben wir im Gleichgewicht. D.h. Ge­gen­sätze treten nur an­satz­weise in Erscheinung (Hunger, Durst), werden mit gerin­gem Energieaufwand leicht befriedigt und sind von daher kein Problem.

Pro­blematisch wird es jedoch, wenn wir, aus welchen Gründen auch immer, das Gleich­gewicht stören. Dies gilt insbesondere dann, wenn wir mehr essen, als der Körper braucht. Dann lagert der Körper die überschüssige Energie an und wir müs­sen mehr Gewicht mit uns herumschleppen als notwendig. Außerdem: Um Nah­rung zu verdauen, brauchen wir mehr Zeit, in der wir relativ funk­tions­untüchtig sind (mangelnde Gehirndurchblutung), wir geben mehr Geld aus, und der seelische Frust erhöht sich. Die Spannung steigt, der Energieaufwand wächst. Es lohnt sich also, auf das Gewicht zu achten.

Neben der Quantität spielt auch die Qualität eine große Rolle. Je frischer die Nahrung ist, je vollwertiger und natürlicher, umso besser kann der Körper sie ver­arbeiten und nutzen. Künstlich hergestellte Lebensmittel, degenerierte, über­säuerte oder überzuckerte Nahrung, stellt einen Gegensatz zu dem dar, was der Körper braucht, was er nur mit einem entsprechenden Energie­aufwand verwer­ten kann. Das Ergebnis ist, das wir müde und schlapp sind und keine Kraft mehr haben, das Leben wirklich zu genießen.

Denn, um das Leben zu genießen, brauchst Du Kraft. Kraft, die Du in unnötige Gegensätze packst, wie z.B. in schlecht verdauliche oder in zu viel Nahrung. Natürlich ist mir klar, daß sich die Situation nicht so schnell ändern läßt. Das Festhalten an der Stange der liebgewordenen Gewohnheiten ist weit verbreitet.

Das sieht man z.B. beim Fleischgenuß. Obwohl jeder weiß, daß die gesund­heit­li­chen Bedenken beim Fleisch in besonderem Maße angebracht sind, wird häu­fig immer noch so viel Fleisch wie nur möglich gegessen. Allerdings gibt es auch hier immer mehr Ausnahmen. Dazu haben gesund­heitliche Gründe geführt, aber auch ethische. Man kann zwar einen Gegensatz zwischen Tier und Mensch konstruieren und daraufhin Tiere unmenschlich aufziehen, töten und an­schließend “fressen” (Entschuldige diesen Ausdruck). Aber das Bewußtsein, daß Tiere und Menschen auch als Gegensatz zusammengehören und damit ein Teil von einem selbst getötet und vertilgt wird, hält allmählich Einzug. Oder würdest du deinen Hund, geschweige denn Dein Kind, töten und essen?

Vor allem, wer ist denn in der Lage, selber ein Tier zu töten und mundgerecht zu ver­ar­beiten. Dafür werden Büttel gehalten, die dieses schmutzige Geschäft verrichten, wie weiland die Henker. Und die Leichenteile anschließend auf dem Teller werden hübsch dekoriert.

Bevor es Dir schlecht wird, will ich lieber aufhören. Aber mir gehen immer öfter die Pferde durch, wenn ich sehe, wie die Tiere wie weiland die Juden in den KZ’s zusammengepfercht, vergewaltigt, gequält, mißbraucht und getötet werden und dann die Zeitgenossen mit völliger Unschuldsmiene, sich noch über den wohl­feilen Geschmack, der längst nicht mehr das ist, was er war, aufbauen und den Bauch füllen.

Dabei brauchen wir schon lange kein Fleisch mehr, um unser Soll zu erfüllen. Wahrscheinlich haben wir es auch nie gebraucht. Es war nur die Macht, die wir über unsere Feinde hatten, und die Gier, die uns dazu gebracht hat, sie auf­zu­essen. Ein natürlicher Prozeß, der aber in dem Augenblick seine Berechtigung ver­liert, wo das Bewußtsein für das Ganze die Kontrolle über die Handlungen gewinnt.

2.1.4 Was kann ich für Dich tun?

Sei mal ehrlich. Wieviel Prozent Deiner Tageszeit verwendest Du bewußt für andere? 1 Prozent, 2 Prozent oder gar 10 %?

Ich glaube, daß die wenigsten von uns Ihre Zeit wirklich den anderen schenken, sondern fast ausschließlich ihr Tun nach rein egoistischen Maßstäben ausrichten. D.h. man fragt sich, was nützt es mir, wenn ich dies oder das tue. Daß dabei auch ein Nutzen für den jeweils anderen dabei herauskommen kann und häufig auch herauskommt, liegt in der Natur der Sache. D.h. wenn ich arbeite, nützt diese nicht nur mir, weil ich damit Geld verdiene, sondern auch meinem Chef bzw. dem Unternehmen, wo ich angestellt bin. Oder ich gehe mit meinem Hund spazieren, weil ich die Verpflichtung verspüre, ihn auszuführen bzw. weil er sonst seine Geschäfte in der Wohnung macht, andererseits er dadurch an die frische Luft kommt.

Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang die geistige Einstellung zu sein. Tue ich etwas, um in erster Linie mir einen Gefallen zu tun, oder denke ich zunächst daran, was anderen nützen könnte?

Denk’ doch einmal an den heutigen Tag zurück. Wann hast Du heute daran gedacht, daß Du dieses oder jenes für diesen oder jenen tun könntest, ohne daß Dir dabei sofort in den Sinn kam, daß es nützlich für Dich sein könnte?

Ich möchte fast dafür wetten, daß das nicht einmal vorgekommen ist. Wir leben mehr oder weniger ständig in den Tag hinein, spulen unser Programm ab nach dem Motto: Was kann ich Gutes für mich tun, die umgekehrte Reihenfolge kommt nur selten vor.

Auch die Hausfrau, die für Ihre Lieben einkauft, wäscht, putzt, das Essen zubereitet handelt überwiegend egozentrisch. Denn wie bereits am Anfang einmal angesprochen, erweitern wir den Kreis unseres Selbst nach Belieben. Meine Frau, meine Familie, mein Verein, usw. “Mein” steht dabei immer im Ge­gen­satz zu “Dein”. Wer klatscht schon für den Gegner, wenn der auch einmal ein Tor erzielt?

Wir sind also in unserem Denken und Verhalten tagsüber sehr einseitig auf uns selbst bezogen. Dabei gehört das Innen und Außen ganz offensichtlich zu­sammen. Eine Trennung vorzunehmen und das Gewicht auf das eigene Ego zu setzen, bringt uns in eine Schieflage. Durch die Betonung unseres Ichs werden wir dauernd damit konfrontiert, daß der Bestand und die Qualität unseres Selbsterlebens gefährdet erscheint. Wenn ich erster unter mehreren sein möchte, muß ich mich gegen die Ansprüche der anderen wehren. Wenn ich mehr haben will als mir zusteht, muß ich es den anderen wegnehmen. Wir zaubern uns also die Konkurrenz oder die Feinde auf den Plan.

Die Entschuldigung, daß andere durch ein derartiges Verhalten mich zu ähn­li­chen Taten zwingen, gilt nicht. Denn das Außen ist ein Spiegelbild unseres Innen. D.h. wenn wir unser Ego loslassen, werden auch die anderen verwandelt.

Das hört sich einfach an. In der sogenannten Realität glaubt man nicht so recht daran, angesichts brutaler Menschen, die mitleidslos über Leichen gehen, nur um noch mehr zu besitzen und noch mehr Macht auszuüben. Dagegen muß man sich zur Wehr setzen, sonst geht man unter. Da ist sicherlich etwas dran. Auf der anderen Seite ist auch offensichtlich, wenn man stur nach dem Motto verfährt „Auge um Auge und Zahn um Zahn“, schaukeln sich die Gegensätze im­mer gefährlicher nach oben. Eigene Positionen loslassen, das Interesse des anderen berücksichtigen bzw. im Sinne des Nicht-Tun in den Vordergrund stellen ist die Alternative.

Was kann ich für andere tun? Eine Frage, die wir uns übungshalber öfter stellen sollten. Das Bewußtsein für das Außen erweitern. Ob wir den Menschen um uns herum einen Dienst erweisen oder den Tieren und Pflanzen, ist im Prinzip gleich. Sie sind alle wichtig.

Als ich begann, mir diese Frage öfter zu stellen, wußte ich anfangs überhaupt nicht, wie ich meinem Außen anders begegnen könnte als bisher. Die egoisti­sche Brille macht uns blind für die Probleme anderer. Allmählich erst entdeckte ich die Möglichkeiten, die teilweise schon lange auf mich zu warten schienen. Und wenn es die Pflanzen im Hause waren, die umgetopft werden mußten oder das Auto, das aus angeblichem Zeitmangel seit Wochen nicht gewartet worden war.

Wenn man einmal damit anfängt, öffnet sich ein ganz anderes Weltverständnis. Das Mitfühlen, Mitdenken und das Mitmachen erscheint als wesentliche Kate­go­rie im täglichen Allerlei. Man kann diesen am Interesse des anderen orientierten Stand­punkt natürlich auch auf die Spitze treiben bis hin zur totalen Selbst­auf­gabe. Aber dann wird es wieder Tun. Und wir haben lediglich die Seite ge­wech­selt.

Fassen wir zusammen: Das normale Alltagsbewußtsein ist häufig, wenn nicht sogar ständig, einseitig mit der Lösung egozentrischer Probleme beschäftigt. Mot­to: Was kann ich für mich tun? Da fast jeder so denkt, entstehen die sattsam bekannten Interessenkonflikte. „Jeder ist sich selbst der nächste” oder “Rette sich, wer kann“.

Allein an der Umweltproblematik können wir erkennen, daß eine derartige Hal­tung durch negative Rückkopplung wieder auf uns zurückschlägt. An das Außen bzw. an andere zu denken und dafür Zeit, Energie und eventuell Geld zu in­vestie­ren ist von daher gesehen ein fast notwendiges Nicht-Tun. Aber häufig reicht schon ein Lächeln, ein freundlicher Gruß oder eine kleine Handreichung, statt verbiestert, gedankenverloren und stumm aneinander vorbeizugehen, um die Seite zu wechseln und einen Ausgleich zu schaffen. Oder wenn man sich dabei ertappt, wie man mal wieder im Autoverkehr ohne Rücksicht auf Verluste das Gaspedal betätigt: Runter vom Gas, die anderen ruhig fahrenlassen, den Tag genießen.

2.1.5 Den inneren Schweinehund besiegen!

In der Physik gibt es den Begriff der Massenträgheit. Selbst fast unsichtbare Ele­men­tarteilchen folgen dem Weg des geringsten Widerstandes; wer sollte es daher dem Menschen verdenken, daß er unnötigen Aufwand tunlichst ver­meidet.

Die Trampelpfade auf dem Rasen von Parks, die zwecks Abkürzung angelegt wer­den, zeugen letztlich von unserem Entwicklungsstand. Auch der Abfall an den Rändern von Autobahnen, auf Raststätten oder in Erholungsgebieten bzw. die Bequemlichkeit im eigenen Hause (Unordnung, Unerledigtes), die mangeln­de Disziplin am Arbeitsplatz (Keine Lust, kein Engagement) oder die Trägheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen (mangelndes Interesse, wenig Einsatz) lassen uns erkennen, daß wir hier einem Gesetz folgen, das Ausdruck unserer Betonung auf materieller Besitzstandswahrung und -vermehrung ist.

Materie und Geist bilden wie gesagt einen Gegensatz. Materie hat viel mit Masse, Gewicht, Trägheit, Druck und potentieller Kraft zu tun, während Geist mit Luft, Leichtigkeit, Beweglichkeit, Dynamik, Energie verbunden wird. Materie ist auch Synonym für unten (Hölle, Schlechtes, Teufel, Versuchung) und Geist für oben (Himmel, Engel, Gutes, Moral).

Die Geschichte der Menschheit entspricht einem Weg von der Materie zum Geist, vom Primitiven zum Kulturellen, vom Krieg zum Frieden, von der Quan­ti­tät zur Qualität, von der Masse zum Individuum, von der Autokratie zur Demo­kra­tie. Den meisten von uns ist es noch nicht gelungen, die Fesseln der materiellen Anziehungskraft zu sprengen. Sie gehen immer noch blind den Weg des scheinbar geringsten Widerstandes. Arbeiten nur, um zu leben. Leben, um nicht zu sterben. Möglichst wenig Aufwand, dafür aber maximalen Ertrag. Nach dem Motto: Lieber reich und gesund, als arm und krank.

Sich selber einen Tritt geben, wenn wieder einmal der Teufel mit der Sünde der Bequemlichkeit winkt. Raus aus der Stumpfheit des „Ich kann nicht, ich will nicht, ich habe keine Lust“. Immer dann, wenn wir den Weg trotz Verbot abkürzen, fal­len wir aus dem Paradies des Gleichgewichts. Das mag ziemlich weit hergeholt klingen, aber Himmel und Hölle finden hier auf dieser Erde statt, falls Du das noch nicht bemerkt haben solltest. Faulheit stinkt nicht umsonst bis zum Himmel.

Also merke Dir: Wenn Du Dich das nächstemal dabei ertappst, daß Dich wieder dieses Gefühl von Trägheit und Schlappheit überfällt, wenn eine Aufgabe zu erledigen ist, dann stell Dir vor, daß diese Einstellung genau der Grund dafür ist, daß Du mit mehr als einem Bein im Sumpf der Gegensätze steckst, und daß Du nur die Möglichkeit hast, da herauszukommen, wenn Du jetzt in diesem Augenblick den Stier bei den Hörnern packst und Dich wie weiland Münchausen aus dem Morast ziehst.

2.1.6 Weniger ist mehr

Eine wunderschöne Übung im Nicht-Tun wäre folgendes Tun: Du kündigst lauthals an, daß Du am kommenden Tag stündlich 1000 DM in kleinen Schei­nen zum Fenster hinauswerfen würdest. Was wird passieren? Spätestens nach der zweiten Stunde würden die Massen vor Deinem Fenster sich versammeln und sich um die Geldscheine drängeln, wenn nicht sogar schlagen.

Wo es etwas Wertvolles umsonst gibt, kann wohl kaum jemand „Nein“ sagen. Auch ein Zwang, dem wir unterliegen. Selbst oder gerade Menschen, die genü­gend Geld besitzen, zeichnen sich dahingehend besonders aus.

Aber es geht natürlich nicht nur ums Geld. Wenn wir könnten, wie wir möchten, würden wir alles in Besitz nehmen wollen. Möglichst alles, was glänzt. Gold, Edelsteine, schöne Frauen, Edelkarossen, Delikatessen, etc. Reiche Leute leben so. Und jeder von uns, machen wir uns nichts vor, strebt dieses Bild an. Der eine mehr, der andere weniger.

Aber es ist nicht nur dieser paradiesische Zustand, den wir anstreben, wir wollen überhaupt besitzen. Das fängt wie bereits angeführt im Supermarkt an, wo wir uns zurückhalten müssen, um nicht auf die Verführungskünste der Einzelhändler hereinzufallen. Das setzt sich aber auch bei den Sight-seeing-Tours fort, wo die touristischen Ziele möglichst schnell abgeklappert und abgehakt werden. Oder in der Freizeit generell, wo wir schon längst deshalb in Stress geraten sind, weil wir möglichst viel von den interessanten Möglichkeiten (Kino/Theater, Essen gehen, Freunde besuchen, Sport/Gymnastik treiben, etc) mitnehmen wollen.

Und noch eine Etage tiefer, erleben wir dieses Begehren z.B. beim Essen. Manche bekommen den Hals nicht voll, obwohl sie bereits zum Club der Übergewichtigen gehören. Insbesondere dann nicht, wenn es (siehe oben) bei Einladungen etwas umsonst gibt. Für viele ist das neueste Automodell, die neueste Mode geradezu notwendig. Und die männlichen Don Juans, die von einer Dame auf die nächste … (Verzeihung), manche vielleicht nur in der Phan­ta­sie mit Hilfe eines Pornos, sind sattsam bekannt.

Und gehen wir noch weiter in den Keller, dann landen wir im Bereich der Sucht. Angefangen bei den Ruhmsüchtigen, die alles tun würden, damit sie in die Zeitung oder ins Fernsehen kommen bzw. Generaldirektor oder Bundeskanzler werden. Macht- oder Geldgier gehört auch dazu. Zur klassischen Sucht werden vor allem die Spielarten des menschlichen Verhaltens gezählt, bei denen die Menschen hilflos ihrer Habgier ausgeliefert sind. Ob es nun die noch scheinbar harmlosen Work-aholics oder Spielsüchtigen sind. Oder die vor allem gesund­heits­gefährdeten Mager- und Tablettensüchtigen, die Nikotin-, Alkohol- und Drogenabhängigen. Bei ihnen ist das Gleichgewicht völlig gestört. Für sie ist es auch am schwersten, gegen die Macht der Begierde anzugehen. Da kann nur noch die Hilfe von außen kommen.

Normalerweise sind wir in der Lage, uns zu beherrschen. Schon deshalb, weil wir die negativen Folgen fürchten. Aber wehe, wenn wir losgelassen werden. Ich hatte einmal einen luziden Traum, also einen Traum, in dem man sich bewußt ist, daß man träumt und was glaubst Du, welchen Wunsch erfüllte ich mir als erstes? Ich schäme mich nicht, es zuzugeben. Es war ein sexueller Wunsch. Also die unterste Kategorie, deren Macht unser Unterbewußtsein in vielen Bereichen beherrscht.

Doch zurück zum Nicht-Tun. Es liegt auf der Hand. Wenn wir dieses einseitige Verlangen, das in uns alltäglich mehr oder weniger zum Vorschein kommt, nicht nur beherrschen, sondern auflösen wollen, dann müssen wir bewußt Verzicht üben. Enthaltung, Demut, Opferbereitschaft – all die hehren Tugenden, die in den Religionen schon seit altersher gepredigt werden, lassen sich auch in diesem Zusammenhang nicht vermeiden. Sie sind der Gegensatz zu unserem normalen Verhalten. Nur mit ihrer Hilfe gelangen wir indas gewünschte Gleichgewicht.

Also doch das Geld aus dem Fenster werfen, sich in Sack und Asche hüllen und 30 Tage durch die Wüste marschieren? Das kann schon sein, wenn es jemand braucht. Du mußt Deine eigenen Übungen finden. Wenn Du reich sein willst, muß die Armut in Dir wohnen. Wenn Du ein sexueller Kraftprotz sein willst, muß die Keuschheit in Dir verankert sein. Wenn Du viel besitzen willst, muß Du mit wenig zufrieden sein.

2.1.7 Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Zittern, Zaudern, Zagen – wer kennt es nicht, das schleichende, lähmende Ge­fühl der Angst. Der Magen verkrampft sich, die Hände werden feucht, das Ge­hirn ist leer. Warum eigentlich?

Schauen wir uns einmal Angstsituationen an. Die Angst zu versagen, z.B. bei Prü­fungen, Vor­trä­gen, im Beruf, im sportlichen Wettkampf, etc. gehört dazu. Oder die Angst jemanden zu ver­lieren, den man behalten möchte, den Partner, das Kind, den geliebten Menschen. Es gibt Angst vor dem nächsten Krieg, Angst vor ansteckenden Krankheiten, vor Autos, Unfällen, Schicksals­schlägen, etc.

Angst regiert die Welt. Nicht umsonst machen Versicherungen große Geschäfte. Doch alles zu ver­sichern ist nicht möglich, und Geld ist häufig nur ein schlechter Ersatz.

Äng­ste zu empfinden gehört zu den menschlichsten aller Regungen. Angst wird aber nicht unbe­dingt vererbt. Kleinkinder empfinden normalerweise wesentlich weniger Angst als Erwachsene. Warum?

Sie haben nichts zu verlieren. Ein Kind darf sich unmöglich benehmen, hat kaum ein Bewußtsein für mögliche Gefahren und kennt kein Schuldgefühl. Was soll ihm also passieren?

Eben das können wir uns auch fragen. Was kann uns eigentlich passieren? Wir haben doch im Grunde auch nichts zu verlieren. Innen und Außen, Du und ich, Sein oder Nicht-Sein gehören zusammen. Wenn etwas geschieht, dann werden lediglich die Gewichte verschoben. Was mir gehört, gehört dann Dir. Wenn ich nicht mehr bin, ist ein anderer da. Wir schaffen doch selber unsere Wirklichkeit. Mit unseren Ängsten malen wir die Bilder, die wir sehen wollen. Ich erinnere an den nächtlichen Spaziergang im Wald.

Von Don Juan, dem brujo Carlos Castanedas, wird die Angst als Feind auf dem Weg zum Wissenden bezeichnet. Sie ist tatsächlich ein Feind, aber durchaus auch ein Freund. Die Angst hat eine wesentliche lebenserhaltende Funktion. Wenn wir keine Angst um unser Leben hätten, und demzufolge ein ent­spre­chen­des Verhalten an den Tag legten, hätte sich unsere Art wohl kaum durchgesetzt. Auf dem Weg zur Ganzheitlichkeit können und dürfen wir die Angst nicht verlieren, aber wir müssen lernen, sie zu beherrschen.

Was kannst Du tun, wenn Du als Frau abends durch einen Park gehst, Dir ein Mann begegnet und Du vor lauter Angst unsichtbar werden möchtest?

Zunächst einmal denke vorher darüber nach, ob es sinnvoll ist, zu dieser Zeit überhaupt durch diesen Park zu gehen. Wenn Du diese Entscheidung bewußt getroffen hast, mußt Du auch damit rechnen, daß Dir eine derartige Situation begegnet. Bist Du darauf vorbereitet, wirst Du auch weniger Angst empfinden. Wenn Du nicht vorbereitet bist, solltest Du trotzdem versuchen, Deinen klaren Verstand einzuschalten. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Mann Dir etwas antun könnte, ist ziemlich gering. Nach dem Gegensatz-Prinzip solltest Du, statt weg­zu­laufen, eher auf ihn zugehen und ihn vielleicht noch sogar mit fester Stimme grüßen.

Sieh ihn als Prüfung an, die Du selber heraufbeschworen hast. Angst macht Dich schwach, und er bietet Dir die Möglichkeit, sie zu besiegen. Wenn Du selbst­bewußt auftrittst, wird sich jeder potentielle Täter zurückziehen, denn Gegen­wehr kann er nicht gebrauchen. Funktioniert Dein Verstand nicht, dann akzeptier Deine Angst, mach die Augen zu und geh dadurch.

Wenn Du die Situation überstanden hast, überleg Dir, welche Fehler Du ge­macht hast und nimm Dir vor, z.B. in einen Selbstverteidigungskurs zu gehen. Dann wirst Du das nächstemal den Mann sogar anlachen.

Bei Castaneda finden wir den Begriff der Makellosigkeit. Ein Krieger, so sagt Don Juan, handelt makellos, wenn er sein Bestes gibt und die volle Verant­wor­tung für seine Taten übernimmt. Das ist es doch. Wenn ich mich so gut wie möglich auf eine Prüfung vorbereitet habe, kann ich dem Ergebnis gelassen entgegensehen. Denn es gibt nichts, was ich hätte besser machen können. Ähnlich ist es bei der Mutter, die weiß, daß sie alles getan hat, was den Um­stän­den entsprechend hätte getan werden müssen. Und wenn ich nachts durch den Wald laufe, muß ich einfach damit rechnen, daß ich aus einer Mücke einen Elefanten mache. D.h. wir müssen auch das Ergebnis unserer Bemühungen, egal wie es aussieht, akzeptieren, und zwar vorweg. Wenn es klappt, ist es gut, wenn nicht, ist es auch gut, und zwar in dem Sinne, daß ich es nicht ändern kann.

Zusammengefaßt: Die Angst ist ein Feind unserer Entwicklung. Ängste machen schwer und unbeweglich. Sie verfinstern die Sonne, ohne daß für andere eine Wolke zu sehen ist. Sie sind ein Reflex auf unser Bedürfnis, uns abzusichern, Besitzstände zu wahren und zu mehren. Lassen wir doch dieses Besitzdenken los. Wir gehören ohnehin alle zusammen. Das Außen ist ein Spiegelbild des Innen. Also geben wir unser Bestes und schauen zu, was sich daraus ergibt.

2.1.8 Auch eine Fliege hat ein Recht zu leben

Früher habe ich bedenkenlos Fliegen gefangen und auch getötet, wenn sie gar zu frech um meine Nase tanzten oder auch nur einfach in meine Nähe kamen. Heute trage ich selbst Spinnen aus dem Zimmer; öffne Fenster, um Fliegen und ähnliche Artgenossen zu befreien und sogar die Mücke darf mich stechen (natürlich nur in Maßen), ohne daß ich Jagd auf sie mache.

Ich nehme an, daß es Dir ähnlich ergeht. Das Bewußtsein für die Schutz­wür­dig­keit des Lebens hat sich enorm erweitert. Doch die Gewalt ist nach wie vor da. Häu­fig sind es nur Worte, die schon verletzen. Selbst Blicke können “tödlich” sein. Andere die eigene Macht spüren zu lassen, sie zu vorgegebenem Handeln zu zwingen und sich selbst durch ihre Fehler zu erhöhen, ist eine Form der subtilen Gewalt, die heute vor allem in der Berufswelt an der Tagesordnung ist. Und wenn jemand gedankenlos ein Blatt von einem Zweig reißt, Ameisen­kolonnen auf dem Weg übersieht oder mit seinem Wagen nachts über Feldwege rast und dabei Kaninchen überrollt, dann „versündigt“ er sich auch gegenüber seiner Umwelt.

Natürlich können wir nicht restlos verhindern, daß unser Dasein das Leben anderer kostet bzw. schädigt. Aber es kommt auf unser Bemühen an, den Schaden, den wir verursachen, auf ein Minimum zu begrenzen.

Und wenn wir trotzdem meinen, daß es notwendig sei, das Leben anderer zu schädigen oder zu beeinträchtigen, dann können wir behutsam vorgehen, den Schmerz reduzieren und uns eventuell auch sogar entschuldigen, insbesondere dann, wenn wir nicht aufgepaßt haben. Selbst Pflanzen sind schutzwürdig, deshalb schneide ich auch ungern Blüten ab.

Im übrigen ist die Unterscheidung zwischen Leben und Nicht-Leben recht will­kür­lich. Die soge­nannte tote Materie hat prinzipiell die gleichen Rechte auf Unver­sehrtheit und Zuvorkommenheit. D.h. alle Dinge, mit denen ich zu tun habe, sei es das Auto, das Haus, die Arbeitsmaterialien, usw. bedürfen meiner Sorgfalt und meines Schutzes. Ganz im Sinne der Einheit von Außen und Innen. Denn was ich für das jeweilige Andere tue, das tue ich auch für mich.

Nicht-Tun bedeutet hier, die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise richten, wie ich mit lebendigen und sogenannten toten Wesen oder Sachen umgehe. Statt die Früchte der Erde und die Erde selbst zu verachten oder als wertlos zu bezeichnen, sie gar zu vergewaltigen, indem wir sie achtlos oder unnötig töten bzw. verletzen oder verschwenden, sollten wir sie mit Liebe betrachten und behandeln. D.h. konkret das Auto nicht nur pflegen, sondern auch öfter stehen­lassen, wenn es möglich ist. Die Planzen und Tiere im Garten nicht ständig mit che­mi­schen Mitteln und dem Rasenmäher malträtieren, sondern nur das Notwendigste tun. Soviel einkaufen und zubereiten, was auch gegessen wird, auch auf die Gefahr hin, daß bei einer Party z.B. die letzten Gäste nichts mehr bekommen.

Der Tag ist voll mit Möglichkeiten, sich im Tun der Gewaltlosigkeit zu üben. Fang einfach an!

2.1.9 Lügen haben nicht nur kurze Beine

Das Potential, so hatten wir gesagt, ist allwissend, allmächtig, allgegenwärtig und überaus gerecht. Nichts entgeht ihm, jede Tat wird belohnt oder bestraft. Es gibt jedem das, was er verdient.

D.h. wir stecken in einem System, aus dem es kein Entrinnen gibt. Solange wir Gegensätze produzieren, werden wir auch mit den Konsequenzen konfrontiert. So oder so.

Kriminelle werden es deshalb nie besonders leicht im Leben haben, selbst wenn es scheinbar so aussieht. Selbst wenn die Justiz ihnen nicht sofort auf die Schliche kommt, ist es häufig ihr Gewissen, das sie verfolgt. Und wer einmal auf die schiefe Bahn gerät, fällt eines Tages völlig hinunter.

Derartige Weisheiten sind uns schon aus der Schule bekannt. Interessanter für uns sollte die Erkenntnis sein, daß jede Form von Unehrlichkeit, von der kleinen Notlüge bis hin zur großen Lebenslüge, knallharte Konsequenzen, je nach Bedeutung, mit sich bringt. Daß Lügner mit kurzen Beinen einhergehen sollen, halte ich empirisch für nicht gesichert. Aber schauen wir uns doch einmal be­stimm­te gesellschaftliche Bereiche an, in denen Unehrlichkeit auf der Tages­ordnung steht. Z.B. die Gastronomie-Branche. Jeder Insider weiß, daß dort viel Schwarzes Geld, nämlich das am Finanzamt vorbeigeschobene Geld, „ge­macht“ wird. Aber auch in kaum ein anderer Branche wird so viel von den An­ge­stellten gestohlen bzw. in die eigene Tasche gesteckt, wie gerade dort. D.h. was auf der einen Seite gewonnen wird, geht auf der anderen Seite wieder verloren.

Jede Lüge, gerade auch die Steuerunehrlichkeit, die von vielen als ein Kavaliers­delikt zur eigenen Verteidigung angesehen wird, schafft ein Ungleichgewicht, das sich automatisch einen Ausgleich schafft. Die Spannung wächst, die Angst vor Entdeckung nimmt zu, die Nächte werden unruhiger. Entweder fliegt die Ge­schichte bald auf, oder das Lügengebäude türmt sich höher und höher. Und irgendwann stürzt es krachend zusammen.

Doch wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. In unserem Alltag gegegnen wir ständig der Lüge. Und wenn es nur das “Mehr Scheinen als Sein” ist, wie es sich im hochverschuldeten Haus, im geleasten Auto oder im Konsum auf Kredit äußert. Schaut man dann einmal mit kritischen Blick nach, entpuppt sich der schöne Schein häufig als Luftblase. Vorne „huii“ und hinten „pfuii“.

Es lohnt sich nicht zu lügen. Deshalb wäre es eigentlich Tun, ehrlich zu sein. Aber es fällt uns oft schwer, Schwächen und Fehler zuzugeben, auf Wertvolles und Wichtiges zu verzichten, andere scheinbar zu schützen, die Angst vor Strafe zu besiegen. Also eine ganze Menge nicht zu tun.

2.1.10 Entdecke die Zeichen der Zeit

Wenn Du gefragt wirst, wann der Dreißigjährige Krieg war, hast Du vielleicht spontan die richtige Antwort parat. Fängst Du aber erst an nachzudenken, kann es Dir passieren, daß Du nicht einmal weißt, wie lange er gedauert hat.

Dieser Gesellschaftswitz hat natürlich einen tieferen Sinn. Das, was richtig und falsch ist, läßt sich nicht immer oder sogar nur selten mit logischem Denken er­mitteln. Auch das Gedächtnis läßt uns oft im Stich. Insbesondere dann, wenn wir uns unter Druck setzen. Der Verstand ist auf der einen Seite nützlich, wenn er uns z.B. vor emotionsbeladenen Entscheidungen schützt oder Ängste auflösen hilft, auf der anderen Seite ist er natürlich auch hinderlich, wenn Dinge passie­ren, die er nicht erklären kann und dagegen blockiert.

Man sagt, daß der westliche Mensch eher verstandesorientiert handelt als der östliche, insbesondere fernöstliche, wo häufig die Entscheidungen aus dem Bauch heraus gefällt werden, ohne daß sie einer rationalen Begründung bedürfen. So sind z.B. die schwarzen Katzen, die jemandem über den Weg laufen und Unheil bringen sollen, hier im Westen ziemlich aus der Mode ge­kom­men. Ein Chinese nimmt derartige Omen sehr ernst. Für den fernöstlichen Menschen und sicher für viele andere Kulturen auch, ist die Einheit von Innen und Außen gelebte Wirklichkeit. Zufall gibt es nicht. Alles, was passiert, hängt mir Dir zusammen. Deswegen achte darauf, welche Botschaften die Ereignisse Dir bringen.

Als ich kurz nach einem Umzug von einer Nachbarin angesprochen wurde, daß ich gefälligst meine Hunde auf meinem Grundstück halten und diese nicht in der ländlichen Gegend, sprich auf ihrem Grundstück, herumlaufen lassen solle, dachte ich lediglich an die Unfreundlichkeit der Menschen. Zwei Tage später war einer der Hunde für immer entlaufen.

Astrologie und Tarot sind zwei Instrumente, mit denen sich der geschilderte Zusammenhang besonders deutlich machen läßt und sich im übrigen wachsen­der Beliebtheit erfreut. Die Astrologie versucht anhand von Planetenkonstella­tio­nen nach dem Motto: „Wie da oben, so auch unten“ die erdbezogenen Abläufe zu deuten und beim Tarot kann man mit Hilfe von speziellen Karten, die „zufällig“ gezogen werden, Antworten zu gestellten Fragen bekommen. Wer sich über das Boulevard-Niveau hinaus mit diesen esoterischen Disziplinen beschäftigt, wird erstaunt sein, wie viele sinnvolle Antworten dabei für ihn herauskommen. In einem älteren astrologischen Werk von W.Döbereiner wird für jeden Geburtstag eines Jahres ein Lebensmotto aufgestellt. Bei meinem Geburtstag (5. Sept.) fand sich: „Das Unberechenbare berechenbar machen“. Ich wüßte nicht, was Treffender sein könnte. Und fast alle beim Tarot gezogenen Karten entsprechen genau der abgefragten Situation, obwohl es 78 Karten mit den unterschiedlichsten Motiven gibt. Ein Bilderbuch, das wirklich als Buch des Lebens und vor allem auch als Spiegel des Lebens benutzt werden kann.

Doch ich will hier keine Reklame für Esoterik machen. Nur an das zu glauben, was man begreifen kann und nicht die Möglichkeit von zusätzlichen Dimensio­nen und Erklärungsmodellen zuzulassen, engt den Horizont zu stark ein. Laß Dich bei Deinen Entscheidungen absichtlich öfter einmal von spontanen Ein­fäl­len, von zufälligen Begegnungen und Ereignissen, von irrationalen Wegweisern leiten. Die Geheimnisse der Welt liegen offen vor Dir. Denk nicht nur darüber nach, sondern schau Dich um.

 

2.1.11 Leise rieselt die Zeit…

Gut und schön, könnte man jetzt wieder sagen. Aber was nützen derartige Empfehlungen, wenn man den Tod vor Augen hat. Unsterblichkeit, wenn der Sand in der Lebensuhr beharrlich nach unten rieselt? Die Haare werden grau, der Körper läßt nach, die verbleibende Zeit ist abzusehen.

Was ist das eigentlich? Zeit…

Wenn wir wissen wollen, wie spät es ist, schauen wir auf die Uhr. Sie zeigt uns die Zeit an oder besser, wie lange die Erde um die Sonne braucht. Wenn wir von A nach B gehen, benötigen wir eine bestimmte Zeit. Umgekehrt spricht man von einem zeitlosen Gesicht, wenn es sich nicht verändert.

Zeit (Verlauf, Umfang) hat also etwas mit Bewegung oder Veränderung zu tun. Dort, wo sich viel bewegt, vergeht die Zeit auch schnell. Z.B. im spannenden und interessanten Unterricht, aber auch in der Hektik des Alltags. Wo der Mensch keine Anregungen erfährt, z.B. auf einer einsa­men Insel oder allein in seiner Wohnung, kann sehr viel Zeit zur Verfügung stehen, die unter Umständen sogar quälend langsam vergeht.

Zeit können wir also füllen, z.B. mit einer Vielzahl von oberflächlichen Ein­drücken, was uns nachher das Bewußtsein einbringt, daß die Zeit dahinrast, ohne daß wirklich etwas hängenbleibt. Oder wir können Zeit auch bewußt gestalten. Indem wir die von uns wahrgenommenen Veränderungen und Bewe­gun­gen auf das Maß reduzieren, das wir verkraften und vor allem genießen können. Ein Spaziergänger, der zwei Stunden durch die Landschaft geht, kann sicherlich diese Zeit wesentlich inhaltsreicher gestalten als ein Autofahrer, der zwei Stunden durch die Gegend fährt. Für beide ist dann zwar objektiv gesehen die gleiche Zeit vergangen. Aber während der eine die Natur genossen hat und sich entspannt wieder an die Arbeit machen kann, hat der andere Kopf­schmer­zen, weil er die vielen Eindrücke beim Vorbeifahren nicht verarbeiten konnte und außerdem Rückenschmerzen durch die passive, gekrümmte Sitzhaltung.

Doch lassen wir dieses Problem zunächst beiseite. Ein ganzheitliches Weltbild, in dem die Gegensätze aufgehoben sind, kennt natürlich auch keinen Zeitfluß. Vergangenheit und Zukunft fallen zusammen. Sie bilden eine Einheit. D.h. das, was wir als Abfolge von Situationen und Ereignissen erleben, findet in seiner Aufspaltung nur in unserem Geiste, d.h. auf unserer Bühne statt. Indem wir uns erinnern, erschaffen wir die Vergangenheit. Das ist völlig klar. Was haben wir nicht schon alles vergessen, was für immer und ewig für uns vergessen bleibt. Und was vergessen ist, existiert nicht für uns für unser Bewußt-Sein.

Und die Zukunft? Erschaffen wir sie nicht auch durch unser Gerede, durch unsere Wünsche und Sorgen? Wenn wir aufhören würden, darüber zu philo­so­phie­ren, was einmal sein wird und die Erinnerungen an das, was war, auslöschen könnten, würden wir uns befreien. Wir könnten wieder ein Stück Zwang über Bord werfen. Was war, ist doch wirklich Schnee von gestern. Und Sorgen vor der Zukunft brauchen wir nicht zu haben, wenn wir uns dem Jetzt ganzheitlich mit vollem Herzen widmen.

Kannst Du Dich an eine Zeit erinnern, wo Du wirklich glücklich warst? Vielleicht nur ein paar Stunden, wo Du mit Freunden Zeit und Raum vergessend zusam­men­gesessen hast. Was passiert denn eigentlich da?

Wenn wir in einer Situation vollkommen drin sind, das kann z.B. auch bei der konzentrierten Arbeit und beim entspannten Bücherlesen vorkommen, verlieren wir das Zeitgefühl. Die Welt verschwindet für uns. Erst der Blick auf die Uhr bringt uns wieder auf die Ebene der Gegensätze.

Es mag vielleicht wiederum seltsam klingen. Aber, wenn Du erreichen möchtest, daß Zeit (viel Zeit, wenig Zeit) für Dich keine Rolle mehr spielt, dann schau ganz einfach nicht mehr auf die Uhr. Leg sie weg, schaff den Wecker ab, mach keine festen Termine mehr aus, usw. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Gerade im Berufsleben ist es häufig unverzichtbar, exakte Termine einzuhalten.

Die Frage ist natürlich, was Du willst. Hektik, Stress, Druck entsteht doch nur dadurch, daß wir unbedingt irgendetwas einhalten wollen oder glauben tun zu müssen, das durch zeitliche Bedingungen geprägt ist. Z.B. glauben viele, daß sie morgens durch den Wecker geweckt werden müßten, weil sie es sonst nicht pünktlich zur Arbeit schaffen. Die Frage ist: Was ist dabei Gewohnheit, und was ist wirklich notwendig?

Gibt es eine gleitende Arbeitszeit? Läßt sich der Arbeitsbeginn generell auf später am Morgen bei Langschläfern einrichten? Sollte man nicht früher ins Bett gehen? Vielleicht kann man den Einsatz des Weckers auf das notwendige Maß reduzieren. Oder man riskiert bewußt, auch einmal zu spät zu kommen. Für den Preis, daß man ausschlafen kann, was ja auch eine höhere Leistungsfähigkeit bedeutet, die sich am Tag wieder bezahlt macht, auch für den Arbeitgeber.

Wir wollen dieses Thema hier nicht ausspinnen. Du mußt Dir selber die Bereiche suchen, in denen Du die Bedeutung von Zeit zurückdrängst oder besser noch auflöst. Du mußt Dir immer dabei klar machen, daß Du selber mit Deinen Wünschen und Ängsten derjenige bist, der die Zeit aufteilt in einen Anfang und in ein jeweiliges Ende. Daß Du es in der Hand hast, Deine Zeit zu gestalten und zu genießen. ZEIT IST LEBEN! Entdecke die Freude am Leben, indem Du die Zeit entdeckst. Versuche nicht, Ihr zu entfliehen, indem Du Dich immer beschäftigst. Zeit zu haben ist ein kostbares Geschenk. Nutze es, um Dich und die Welt da draußen in Einklang miteinander zu bringen.

2.1.12 Bewußt-Sein!

Das Bewußtsein ist das Wissen vom Sein. Ein Zecke beispielsweise kann jahr­zehn­te­lang ohne Lebenszeichen auf einem Baum hocken. Erst wenn sie den Geruch von Buttersäure (Erkennungs­zeichen von Säugetieren) wahrnimmt, läßt sie sich fallen und heftet sich nach Möglichkeit an die Haut. Ihr Wissen vom Sein ist stark eingeschränkt. Sie kennt weder Sonntag noch Montag, weder New York noch Tahiti, weder Kuchen noch Kaffee, ja, sie weiß nicht einmal etwas von sich selbst. Weißt Du etwas von Dir selbst?

Natürlich weißt Du etwas von Dir selbst. Du weißt, wie Du heißt, wo Du wohnst, was Du für ein Auto fährst. Tatsächlich? In diesem Moment weißt Du nichts. Du liest diese Zeilen und damit ist Dein Bewußtsein ausgeschaltet. Oder kannst Du bewußt lesen? Was heißt das?

Normalerweise denken wir, wenn wir morgens aufgewacht sind, daß wir bewußt sind. Wir reiben uns die Augen, gehen unter die Dusche, ziehen uns an, früh­stücken, etc. Der eine schläft noch halb, der andere denkt bereits an die Tage­s­probleme. Ist einer von Ihnen bewußt? Nimmt er bewußt wahr, daß ein Sonnenstrahl auf der Bettdecke liegt, das Wasser angenehm auf der Haut prickelt, der Kaffee die Sinne belebt, der Partner ein neues Deo aufgelegt hat?

Solange wir mit unseren Gedanken im Gestern oder im Morgen sind, solange wir uns überhaupt von dem entfernen, was uns unmittelbar umgibt (Raum, Mensch, Zeit) einschließlich unserer eigenen Signale, ist auch unser Bewußt-Sein ausgeschaltet.

Was weißt Du in diesem Augenblick von Deiner Umgebung? Bist Du Dir bewußt, daß Du in einem Sessel sitzt, vielleicht in Deinem Wohnzimmer, daß die Uhr tickt, draußen ein Hund bellt, ein Auto vorbeifährt, etc. Wahrscheinlich nicht. Trotzdem wirst Du nachher behaupten, Du wärst bei Bewußtsein gewesen. Schließ­lich hast Du nicht geschlafen, sondern gelesen. Und wenn Du Dich ange­regt mit einem Freund, Zeit und Raum vergessend, unterhalten hast, glaubst Du ebenfalls, bewußt gewesen zu sein.

Unter Bewußt-Sein ist zu verstehen, daß man bewußt wahrnimmt, was in einem bestimmten Augenblick geschieht. Wenn Du jetzt z.B. merkst, daß Dein Fuß eingeschlafen ist und unangenehm kribbelt, bist Du bewußt. Wenn Du Dich jetzt einen Moment zurücklehnst und einen Augenblick gar nichts denkst, bist Du Dir dieser Stille in Dir bewußt. Und jeder Gedanke, der sich dazwischen drängt, macht Dich wieder ein Stück unbewußter. Das heißt nicht, daß Du nicht bewußt denken kannst. Probier es einmal!

Wie lange klappt es mit dem bewußten Denken? 10 Sekunden, eine halbe Minute. Interessant ist vor allem bei diesem Versuch, daß man sich schnell fragt, was man überhaupt denken soll. Wieviel Energie könnten wir sparen, wenn wir nicht soviel unnötig Gedankenkraft vergeuden würden.

Was wir brauchen ist das Bewußtsein des Bewußt-Seins. Erst damit können wir die Kontrolle über uns erlangen, Ängste auflösen, unnötige Spannungen ab­bauen, den Augenblick genießen. Das normale Wach-Bewußtsein läßt uns noch im Zustand des Automaten, gesteuert vom Klein- und Mittelhirn.

Uralte Verhaltensprogramme (Fluchtinstinkte, Überlebenstriebe, Sexualtrieb) regeln unseren Tagesablauf, unser Fühlen und Denken. Sicherlich sinnvoll, aber nicht unbedingt immer notwen­dig. Vor allem dann, wenn wir uns persönlich weiterentwickeln wollen, von der Ebene der Gegen­sätze bewußt auf die Ebene der Ganzheitlichkeit wechseln wollen, brauchen wir das Bewußt-Sein wie das tägliche Brot.

Bewußt-Sein heißt ja nicht nur Kontrolle, falls Du das noch nicht richtig verstanden haben solltest. Es geht nicht darum, die Gefühle zurückzudrängen, kalt und nüchtern zu reagieren, den Verstand einseitig zu bevorzugen. Dann wären wir ja keinen Schritt weitergekommen. Herz und Verstand müssen gleichermaßen zu ihrem Recht kommen. Sich kontrolliert gehen lassen ist eines der Stichwörter. Kann man das überhaupt?

Man kann. Und nicht nur das.

Erst wenn Du bewußt Deine Stimmung erlebst, die Formen und Farben der Natur wahrnimmst, Tier und Mensch auf Dich wirken lassen kannst, dann fängst Du an zu leben. Typisch für den normalen Ablauf ist, daß wir z.B. Hunger ha­ben, uns etwas Schmackhaftes zu essen machen und dann beim Essen Zeitung lesen, fernsehen oder uns unterhalten. Hinterher haben wir dann noch neben dem vollen Bauch einen angenehmen Geschmack auf der Zunge, aber das war es dann auch. Lassen wir uns dagegen Zeit beim Essen, erfreuen wir uns schon an der appetitlichen Zubereitung, dem sinnlichen Geruch, dem Geschmack jedes Happens auf der Zunge und am Gaumen, dann haben wir nicht nur einfach mehr davon, sondern erleben eine ganz andere Qualität. Auch das gehört zum Mark des Lebens.

2.1.13 Die Krönung: Das meditative Nichts-Tun

Nicht-Tun und Nichts-Tun haben, wie wir gesehen haben, nicht unbedingt viel miteinander zu tun. Aber manchmal kann es auch sinnvoll sein, das Nichts-Tun als Nicht-Tun zu üben, dann nämlich, wenn Übereifer, Hektik und Bewegungs­drang übertrieben werden.

Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die nicht still sitzen können, bzw. die immer etwas zu tun haben müssen. Eine Art Beschäftigungsmanie. Sobald sie zur Ruhe gezwungen werden, glauben sie, daß die Welt einstürzt und sie in ein tiefes Loch fallen.

Andere gehören zu denjenigen, die sich zu schnell von modischen Strömungen oder von scheinbaren Glücksbringern von ihrem Weg abbringen lassen und, statt geradeaus nach vorne zu gehen, hin- und herpendeln.

Eine weitere Gruppe will zu viel, packt sich zu viele Aufgaben auf, gerät unter Druck und schafft weniger als die Hälfte.

Nicht-Tun bedeutet hier tatsächlich weniger oder auch mal nichts zu tun. Es gibt ein uraltes Zauberwort, das genau auf diese Situation paßt. Es heißt Meditation, was gleichbedeutend mit „in der Mitte sein“ ist. Ich vermute einmal, daß Medita­tion bislang für Dich etwas Fremdartiges bedeutete. Etwas, daß nach fern­öst­li­cher Weisheit klingt, abgerückt, um nicht zu sagen verrückt, auf jeden Fall eher etwas für Spinner, als für den nomalen Menschen. Allein die Sitzhaltung bei einem richtigen Yogi ist schon so verdreht, daß einem bereits beim Anblick die Knie schmerzen. Und dann noch minutenlang, wenn nicht stundenlang an „Nichts“ denken, wo bereits nach Sekunden die Gedanken mit Dir spazieren gehen.

Meditation hat jedoch, und das mag manchen überraschen, mit Knie verdrehen, stundenlangem Nicht-Denken und entrücktem Geist zunächst zumindest nicht viel zu tun. Jeder, der nur einen Augenblick des Tages sich selber wahrnimmt, und zwar losgelöst vom automatischen Denken und Fühlen, meditiert. Egal, wo er steht, geht, sitzt oder liegt. Meditation ist nichts anderes als das Bewußt-Sein, das Wissen vom Sein, das Wissen, daß man ist. Wem das zu abstrakt klingt, hier der Versuch, Klarheit darüber zu vermitteln.

Leg einen Augenblick das Buch zur Seite und achte darauf, was passiert.

Was geschieht? Einen oder zwei Momente siehst Du Dich, fühlst Du Dich. Du hörst Neben­ge­räusche. Du bist in diesen Momenten „drin“, d.h. im Hier und Jetzt, ein Teil des Ganzen. Der Gegen­satz zwischen Dir und Deiner Umwelt ist aufgehoben. Du nimmst nur wahr. Unter­nimmst nichts. Aber wie lange? Nach einigen Momenten, meistens nur Sekunden, vernebelt sich Deine Wahrneh­mung. Irgendein Geräusch lenkt Dich ab, Gedanken über Unerledigtes quellen auf, der Magen meldet sich, o.ä. Deine Aufmerksamkeit richtet sich auf das schein­bare Problem, konzentriert sich, verengt sich. Und Du bist wieder „draußen“. Du und die Umwelt, Du und das Problem, Ihr spielt wieder Gegen­satz. Du mit dem, was Du alles noch tun müßtest, versäumt hast, worüber Du Dich geärgert oder gefreut hast, etc. und die Umwelt, die auf Dich einwirkt, mit der Du zu kämpfen hast, die Dich liebt, aber auch haßt.

Jetzt wirst Du vielleicht einmal wieder einwenden, daß das alles gut und schön sei, aber was nützt Dir dieses reine Bewußt-Sein. Vorhin haben wir schon einiges angesprochen. Wenn Du in der Lage bist, diesen Moment etwas auszudehnen, wirst Du neben der Steigerung Deiner Lebens­qualität (Vielfalt, Intensität) noch etwas anderes Wesentliches bemerken. Mit der Medi­tation tritt aufgrund der Aufhebung des Gegensatzes eine Entspannung ein, die umso tiefer und wirkungs­voller ist, je länger sie anhält. Und Entspannung bedeutet Freiwerden von gebundener Energie, d.h. Deine Nervösität fällt ab, Dein Atem wird tiefer, Deine Venen weiten sich, das Blut fließt sauerstoffreicher durch Deinen Körper, insbesondere durch das Gehirn. Überall spürst Du, wie der Druck, der auf Dir lastet, nachläßt. Nach einer längeren Meditation bist Du wieder aufnahmefähig, leistungsfähig, selbstbewußter, entspannter, etc. Und, wenn Du trainiert bist, kannst Du auch noch weiterkommen. Es muß nicht gerade die Erleuchtung sein, aber Dein Geist kann Flügel bekommen. Aus der Enge Deines Alltags kannst Du Dich mit Meditation befreien. Die Gegensätze, die Dich belasten, können sich nach und nach auflösen, und Du magst Kontakt aufnehmen mit dem, was wir hier als Potential bezeichnet haben, also dem, was die Quelle aller Erfahrung ist. Dieser Kontakt kann Dir Erlebnisse bescheren, die Dir eine Rückkehr in ein normales Leben, wie Du es vorher gewöhnt warst, unmöglich machen. Du wirst danach die Welt mit anderen Augen sehen.

Dieses reine Bewußt-Sein stellt sich jedoch nicht von selbst ein, es entsteht durch bewußtes Nichts-Tun. Vielleicht einmal am Tag still sitzen, die Gedanken kommen und gehen lassen, Gefühle beobachten, Geräusche anhören, die Zeit zur Ruhe kommen lassen. Das kann auf dem Stuhl, auf dem Bett oder wo auch immer geschehen. Das kann eine Minute, fünf Minuten oder auch eine halbe Stunde dauern. Wichtig ist, daß dieses Nichts-Tun getan wird.

Meditation kann man jedoch auch während der aktiven Phase des Tages üben. Und zwar in Form einer meditativen Haltung gegenüber den Ereignissen. Wenn wir in der Mitte unseres Selbst ruhen, gibt es nur wenig, was uns da herausholen kann. Gelassen die Dinge auf sich zukommen lassen, sein Bestes geben und das Ergebnis akzeptieren. Weder panikartig ausweichen, noch gierig zupacken. Die Welt als ein Wunder begreifen und einfach geschehen lassen.

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