Das Ding an sich

Teil 3: Das Gegensatz-Prinzip

1.7 Der zentrale Gegensatz: Die Welt und Ich

Die Welt und ich gehören als Gegensätze zusammen wie siamesische Zwillinge. Wenn ich nicht bin, ist auch die Welt nicht mehr und umgekehrt.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten weder sehen noch hören. Es gibt ja leider diese wirklich armen Menschen. Was würde Ihnen von der Welt noch bleiben? Und wenn Sie sogar von Geburt aus blind und taub wären, welche Vorstellung von Welt hätten Sie dann wohl? Eine sicherlich sehr eingeschränkte, die Sie jedoch als Ihre Wirklichkeit und damit normale Wirklichkeit bezeichnen würden, ohne daß Sie einen Einblick in die Wirklichkeit der gesunden Menschen hätten.

Und umgekehrt heißt das nun, daß das Haus, das ich morgens verlasse, tat­säch­lich nicht mehr ist, zumindest solange nicht, bis ich abends wieder heim­komme? Wahrscheinlich werden Sie mich jetzt endgültig für einen Verrückten halten. Aber ich behaupte das einfach, und Sie können mich nur vom Gegenteil überzeugen, wenn Sie mir sagen, daß Sie den ganzen Tag darauf aufgepaßt haben. Aber vielleicht haben Sie auch nicht richtig aufgepaßt, vielleicht das falsche Haus observiert, und deshalb nützt mir Ihre Erklärung nicht viel. Ich kann Ihnen genauso wie meiner Frau allenfalls Glauben schenken, daß die Welt weiter­hin in Ordnung war, auch ohne meine Anwesenheit.

Das klingt jetzt sehr überheblich. Als ob die Welt nicht auch ohne mich existieren könnte. Was passiert denn mit ihr, wenn ich tot bin? Stirbt sie dann auch?

Das ist natürlich eine dumme Frage, könnte man meinen. Schließlich sterben tagtäglich eine Menge Menschen, ohne daß das Jüngste Gericht ausposaunt wird. Andererseits stirbt die Welt tatsächlich für denjenigen, der stirbt. Nur für mich, der noch lebt, stirbt sie nicht. Vielleicht erlebt ja jeder sein eigenes Jüng­stes Gericht, die Auferstehung der Toten, wenn er stirbt, ganz individuell.

Wenn die Welt und ich eins sind, wenn wir beide zwar als Gegensätze getrennt in Erscheinung treten, aber in Wahrheit zusammengehören, dann entsteht eine völlig neue Situation. Bislang haben wir geglaubt, daß die Welt unabhängig von uns ist. (Sie glauben es wahrscheinlich immer noch, aber das macht nichts). Wir haben angenommen, daß die Sonne auch ohne uns morgens aufgeht, der Nachbar auch ohne uns ins Auto steigt und zur Arbeit fährt, und in der Firma der Chef auch ohne uns Entscheidungen trifft.

Tatsächlich ist es so, daß nichts und niemand ohne uns irgend etwas tut, ohne daß wir davon wissen. Zumindest müssen wir im Nachhinein davon informiert werden, sonst existiert dieser Teil von Wirklichkeit nicht für uns. Wenn unsere Firma pleite macht, werden wir das erfahren, wenn die Firmentür verschlossen ist und das Gehalt nicht mehr auf dem Konto landet. Wieviele Firmen in diesem Zeitraum noch Konkurs machen und vor allem welche davon, erfahren wir wahrschein­lich nie, und deshalb gibt es sie nicht in unserer Wirklichkeit.

Genauso werden wir, wenn wir morgens den Sonnenaufgang verschlafen, er­fah­ren, daß die Sonne scheint, wenn wir durch sie geweckt werden. Sollten wir tags­über durchschlafen, spielt sie keine Rolle in unserem Leben (zumindest an diesem Tag). Es ist dann so, als ob sie nicht existieren würde. Natürlich lehrt die Erfahrung, daß die Sonne auch ohne unser Wissen aufgeht und der Chef seine Entscheidungen, bedauerlicherweise auch ohne uns zu fragen, trifft. Nur, solange wir keine Beweise haben, stützen wir uns auf Vermutungen, und die können manchmal ganz schön danebenliegen. Wenn Ihr Mann sich mit den Wor­ten verabschiedet, daß er eben mal Zigarretten holen wolle, kann Ihre An­nah­me, daß er in fünf Minuten zurück ist, wie andere Fälle gezeigt haben, völlig falsch sein.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich nehme an, daß Sie sich über meine Behauptungen eher belustigen. Sie sollten jedoch den Ernst der Lage erkennen. Stellen Sie sich vor, Sie würden gerade geboren und wüßten von der Welt um Sie herum so gut wie nichts. Sie wüßten weder etwas vom Präsidenten der Vereinigten Staaten, noch davon, daß es Unterschiede zwischen Männer und Frauen gibt. Sie wüßten nicht einmal, wieviel Uhr es ist, was der Mann im weißen Kittel für eine Funktion hat und wie die Frau heißt, die Sie gerade in diese fürchterlich unan­ge­nehme Situation gebracht hat. Erst durch mühseliges, langwieriges Aufnehmen und Verarbeiten von Informationen entsteht Stück für Stück eine immer differenziertere Form von Wahr-neh­mung, die Ihnen ein Überleben und Erleben erlaubt.

Egal, welche Art von Wirklichkeit Sie jetzt aufgebaut haben. Sie hängt ausschließlich mit Ihnen zusammen, mit Ihren Erfahrungen und Ihren Wünschen und Bedürfnissen. Sie wird niemals vollständig sein. Sie werden in Ihrem Leben weder alle Länder bereisen, noch alle Menschen kennenlernen. Sie werden nicht alles wissen, was heute schon an Wissen vorhanden ist, und Sie werden auch nicht wissen, was in Zukunft noch an Wissen von den Menschen erarbeitet wird.

Also, das, was an objektiver Wirklichkeit scheinbar vorhanden ist (Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges) spielt in Ihrer Wirklichkeit nur eine bescheidene Rolle. Sie können allenfalls glauben, daß außerhalb des Bereiches, den Sie über­blicken, noch mehr Wirklichkeitsinhalte gegenwärtig sind. Genaues entzieht sich jedoch weitgehend Ihren Erkenntnisbemühungen.

Sie sind der Baumeister Ihres Lebens. Ohne Sie gäbe es dieses Leben nicht. Das klingt logisch, deutet aber vor allem auf die Wechselwirkung zwischen Ihnen und der Welt da draußen hin. Wenn die Welt und Sie eins sind, und dies ist die eigentliche Konsequenz aus diesem Gegensatz, dann spiegelt das, was außer­halb Ihres Körpers passiert, Ihre inneren Empfindungen (Wünsche, Sorgen, Triebe, Sehnsüchte) wider.

Und umgekehrt muß das, was Sie innerlich bewegt, sich äußerlich nieder­schla­gen. Was Innen ist, ist Außen und was Außen ist, ist Innen (Hermes Trisme­gi­stos). Platt gesagt, heißt das, wenn Ihnen ein Ziegel auf den Kopf fällt, während Sie spazierengehen, steht dieser Vorgang in unmittelbaren Zusammen­hang mit Ihrer Persönlichkeit. Und umgekehrt, wenn Sie Bauchschmerzen haben, gibt es gleichzeitig in Ihrer äußeren Wirklichkeit adäquate Bereiche, die damit zusam­men­hängen.

Wenn Sie jetzt Bauchschmerzen empfinden, schlage ich vor, daß Sie entweder das Buch weglegen und den Tag verfluchen, an dem Sie es gekauft haben oder zumindest eine kleine Pause einlegen, um das Gelesene etwas zu verdauen.

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