2. Carpe diem (Nutze den Tag)
2.1 Dreizehn Übungen im Nicht-Tun
2.1.1 Dein Körper und Du
Beginnen wir mit dem, was uns am nächsten ist. Unser eigener Körper. Am besten stellen wir uns nackt vor einen Spiegel. Was sehen wir?
Wenn Du glaubst, Du siehst Haut und Muskeln, Arme und Beine, dann irrst Du Dich oder sagen wir einmal, das ist nur oberflächlich so. Tatsächlich siehst Du Deine Gefühle, Deine Gedanken, Deine Stärken und Schwächen; das, was Du verdrängst, nicht wissen willst; das, was Du möchtest, aber nicht zu tun wagst. Es ist ein Blick in die Tiefe Deiner Seele, Deines Unterbewußtseins, auch wenn es offen vor Dir steht.
Der seelische Zustand, so beschreibt es der amerikanische Autor Ken Dychtwald, wird durch den Körper reflektiert und als Psychoanatomie bezeichnet. D.h. durch die Haltung, die Ausprägung, durch den Körperbau, den Gang, Muskelverspannungen bis hin zu anatomischen Merkmalen (Verkrüppelungen), ja bis hin zu Unfällen mit bleibenden Schäden, Operationsnarben, sogar bis zur Haarfarbe und -fülle kann man getreu unserer theoretischen Annahmen über den Gegensatz zwischen Innen und Außen einen Einblick (KörperBewußtsein) in die Seele eines Menschen gewinnen.
Dabei ist der Körper natürlich auch als Ganzheit zu sehen. In dem Moment, in dem wir ihn zerteilen, also Unterscheidungen machen z.B. zwischen Kopf und Rumpf, erzeugen wir wieder Gegensätze. Gegensätze, die trotz ihrer Gegensätzlichkeit zusammengehören. In der Iris-Diagnostik beim Heilpraktiker wird dieses Wissen angewandt. Auch die Fußreflexzonen-Wissenschaft gehört dazu. Und selbst das Handlinien-Lesen deutet darauf hin, daß sich in jedem Teil das Ganze widerspiegelt.
Eines der wichtigsten Bestandteile der Psychoanatomie des Körpers sind die Füße. Sie geben dem Menschen Halt und ein Gefühl der Sicherheit. Sie symbolisieren Unterstützung, Balance und Mobilität und gehen einher mit einem Gefühl von Autonomie. Dychtwald (in: Das KörperBewußtsein, Essen 1981) unterscheidet zwischen fünf verschiedenen Fußtypen. Flache Füße z.B. können den Boden nicht greifen, sie gleiten darüber, sie ermöglichen nicht die Verbindung zum Boden, die der Mensch braucht, um sich gestützt zu fühlen. Wer aus Unsicherheit dagegen immer den Boden regelrecht umklammert, sieht so aus, als wollte er mit seinen Zehen, selbst wenn sie entspannt sind, damit etwas ausgraben. Andere Leute haben zehenspitzenbetonte Füße, eine Art Traumtänzer, die zwar phantasievoll und kreativ sein mögen, aber auch wirklichkeitsfremd sind. Ihnen fehlt die solide Basis, auf der sie stehen könnten.
Die Füße sind natürlich nicht isoliert vom übrigen Körper. Straffe Wangen, eine schmale Brust, angespannte Kniesehnen und geschlossene Knie treten häufig in Vebindung mit fersenbetonten Füßen auf. Es handelt sich um Menschen mit tief verwurzelten Gefühlen von Angst und Instabilität, die sie durch das entschlossene Auftreten zu kompensieren versuchen.
Wie dem auch sei, die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt ein komplettes Schema der Psychoanatomie (aus Gavin, J.: Welcher Sport für wen, München 1989). Wer sich näher damit befassen will, sollte die angegebenen Bücher studieren. Eines ist auf jeden Fall sicher. Wenn Du herausfindest, wie Deine Füße geformt sind und wie sie arbeiten, könntest Du versuchen, sie anders einzusetzen. So wie sich die Bewegungen der Füße ändern, werden sich auch die Körperbewegungen ändern – und somit wird es auch psychische Änderungen geben.
Dies gilt natürlich auch für die übrigen Körperteile. Jeder Teil repräsentiert zwar einen bestimmten psychischen Bereich, hängt aber andererseits mit allen anderen Teilen und Bereichen zusammen. Wenn wir einen Teil vernachlässigen, werden auch die anderen Teile davon berührt. Beim Fitness-Training nützt es deshalb nichts, wenn wir nur den Oberkörper kräftigen. Ein Bär auf spindeldürren Beinen sieht nicht nur komisch aus. Er repräsentiert auch ein Ungleichgewicht, das unmittelbare Rückschlüsse auf seine psychische Verfassung zuläßt. Ein überentwickelter, aufgeblasener, angespannter Brustkorb mit kräftigen Muskeln zeigt, daß die betreffende Person wahrscheinlich chronische Angstzustände durchlebt und eher mit Aggressivität und falscher Selbstsicherheit reagiert.
Es gibt allerdings auch scheinbar noch einfachere Übungen. Die meisten Menschen sind Rechtshänder und die anderen Linkshänder. D.h. fast alle sind einseitig in der Beweglichkeit ihrer Arme und Hände. Versuch einmal, eine Zeitlang alles das, was Du meinetwegen bisher mit rechts gemacht hast, mit links zu tun. Du wirst sofort sehen, wie tolpatschig Du dich dabei anstellst.
Schreib z.B. ein paar Zeilen. Abgesehen davon, daß Du nicht einmal das Schreibgerät richtig halten kannst, wirst selbst Du nicht Dein Gekrakel lesen können. Oder versuch einmal mit links Deine Zähne zu putzen, Dir die Haare zu fönen oder Squash zu spielen. Es wird Dir nichts zu Beginn gelingen, sondern Du mußt mühselig wie ein (Schul-)anfänger von vorn beginnen.
Neben der Stärkung Deines Willens liegt der Sinn solcher Übungen darin, daß Du Deine Gehirnhälften gleichgewichtiger trainierst, die bekanntlich für die beiden Seiten des Körpers zuständig sind. Außerdem, wenn Du Dir beim Skifahren demnächst den rechten Arm brichst und damit in Gips kommst, bist Du auf die Umstellung bereits vorbereitet.
Anonymous
Vielen Dank für dieses Buch. Es ist seit langem ein Buch das ich sofort komplett bis zum Ende gelesen habe. Viele Grüsse Willy
hulrich
Vielen Dank, Willy! Ist schön, wenn mal jemand antwortet und dann noch so positiv. Für weitere Fragen oder Kommentare stehe ich gerne zur Verfügung. Hans Ulrich