Eine philosophische Entdeckungsreise

Das Spiel mit dem Gegensatz

2.1.13 Die Krönung: Das meditative Nichts-Tun

Nicht-Tun und Nichts-Tun haben, wie wir gesehen haben, nicht unbedingt viel miteinander zu tun. Aber manchmal kann es auch sinnvoll sein, das Nichts-Tun als Nicht-Tun zu üben, dann nämlich, wenn Übereifer, Hektik und Bewegungs­drang übertrieben werden.

Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die nicht still sitzen können, bzw. die immer etwas zu tun haben müssen. Eine Art Beschäftigungsmanie. Sobald sie zur Ruhe gezwungen werden, glauben sie, daß die Welt einstürzt und sie in ein tiefes Loch fallen.

Andere gehören zu denjenigen, die sich zu schnell von modischen Strömungen oder von scheinbaren Glücksbringern von ihrem Weg abbringen lassen und, statt geradeaus nach vorne zu gehen, hin- und herpendeln.

Eine weitere Gruppe will zu viel, packt sich zu viele Aufgaben auf, gerät unter Druck und schafft weniger als die Hälfte.

Nicht-Tun bedeutet hier tatsächlich weniger oder auch mal nichts zu tun. Es gibt ein uraltes Zauberwort, das genau auf diese Situation paßt. Es heißt Meditation, was gleichbedeutend mit „in der Mitte sein“ ist. Ich vermute einmal, daß Medita­tion bislang für Dich etwas Fremdartiges bedeutete. Etwas, daß nach fern­öst­li­cher Weisheit klingt, abgerückt, um nicht zu sagen verrückt, auf jeden Fall eher etwas für Spinner, als für den nomalen Menschen. Allein die Sitzhaltung bei einem richtigen Yogi ist schon so verdreht, daß einem bereits beim Anblick die Knie schmerzen. Und dann noch minutenlang, wenn nicht stundenlang an „Nichts“ denken, wo bereits nach Sekunden die Gedanken mit Dir spazieren gehen.

Meditation hat jedoch, und das mag manchen überraschen, mit Knie verdrehen, stundenlangem Nicht-Denken und entrücktem Geist zunächst zumindest nicht viel zu tun. Jeder, der nur einen Augenblick des Tages sich selber wahrnimmt, und zwar losgelöst vom automatischen Denken und Fühlen, meditiert. Egal, wo er steht, geht, sitzt oder liegt. Meditation ist nichts anderes als das Bewußt-Sein, das Wissen vom Sein, das Wissen, daß man ist. Wem das zu abstrakt klingt, hier der Versuch, Klarheit darüber zu vermitteln.

Leg einen Augenblick das Buch zur Seite und achte darauf, was passiert.

Was geschieht? Einen oder zwei Momente siehst Du Dich, fühlst Du Dich. Du hörst Neben­ge­räusche. Du bist in diesen Momenten „drin“, d.h. im Hier und Jetzt, ein Teil des Ganzen. Der Gegen­satz zwischen Dir und Deiner Umwelt ist aufgehoben. Du nimmst nur wahr. Unter­nimmst nichts. Aber wie lange? Nach einigen Momenten, meistens nur Sekunden, vernebelt sich Deine Wahrneh­mung. Irgendein Geräusch lenkt Dich ab, Gedanken über Unerledigtes quellen auf, der Magen meldet sich, o.ä. Deine Aufmerksamkeit richtet sich auf das schein­bare Problem, konzentriert sich, verengt sich. Und Du bist wieder „draußen“. Du und die Umwelt, Du und das Problem, Ihr spielt wieder Gegen­satz. Du mit dem, was Du alles noch tun müßtest, versäumt hast, worüber Du Dich geärgert oder gefreut hast, etc. und die Umwelt, die auf Dich einwirkt, mit der Du zu kämpfen hast, die Dich liebt, aber auch haßt.

Jetzt wirst Du vielleicht einmal wieder einwenden, daß das alles gut und schön sei, aber was nützt Dir dieses reine Bewußt-Sein. Vorhin haben wir schon einiges angesprochen. Wenn Du in der Lage bist, diesen Moment etwas auszudehnen, wirst Du neben der Steigerung Deiner Lebens­qualität (Vielfalt, Intensität) noch etwas anderes Wesentliches bemerken. Mit der Medi­tation tritt aufgrund der Aufhebung des Gegensatzes eine Entspannung ein, die umso tiefer und wirkungs­voller ist, je länger sie anhält. Und Entspannung bedeutet Freiwerden von gebundener Energie, d.h. Deine Nervösität fällt ab, Dein Atem wird tiefer, Deine Venen weiten sich, das Blut fließt sauerstoffreicher durch Deinen Körper, insbesondere durch das Gehirn. Überall spürst Du, wie der Druck, der auf Dir lastet, nachläßt. Nach einer längeren Meditation bist Du wieder aufnahmefähig, leistungsfähig, selbstbewußter, entspannter, etc. Und, wenn Du trainiert bist, kannst Du auch noch weiterkommen. Es muß nicht gerade die Erleuchtung sein, aber Dein Geist kann Flügel bekommen. Aus der Enge Deines Alltags kannst Du Dich mit Meditation befreien. Die Gegensätze, die Dich belasten, können sich nach und nach auflösen, und Du magst Kontakt aufnehmen mit dem, was wir hier als Potential bezeichnet haben, also dem, was die Quelle aller Erfahrung ist. Dieser Kontakt kann Dir Erlebnisse bescheren, die Dir eine Rückkehr in ein normales Leben, wie Du es vorher gewöhnt warst, unmöglich machen. Du wirst danach die Welt mit anderen Augen sehen.

Dieses reine Bewußt-Sein stellt sich jedoch nicht von selbst ein, es entsteht durch bewußtes Nichts-Tun. Vielleicht einmal am Tag still sitzen, die Gedanken kommen und gehen lassen, Gefühle beobachten, Geräusche anhören, die Zeit zur Ruhe kommen lassen. Das kann auf dem Stuhl, auf dem Bett oder wo auch immer geschehen. Das kann eine Minute, fünf Minuten oder auch eine halbe Stunde dauern. Wichtig ist, daß dieses Nichts-Tun getan wird.

Meditation kann man jedoch auch während der aktiven Phase des Tages üben. Und zwar in Form einer meditativen Haltung gegenüber den Ereignissen. Wenn wir in der Mitte unseres Selbst ruhen, gibt es nur wenig, was uns da herausholen kann. Gelassen die Dinge auf sich zukommen lassen, sein Bestes geben und das Ergebnis akzeptieren. Weder panikartig ausweichen, noch gierig zupacken. Die Welt als ein Wunder begreifen und einfach geschehen lassen.

  • Anonymous

    Vielen Dank für dieses Buch. Es ist seit langem ein Buch das ich sofort komplett bis zum Ende gelesen habe. Viele Grüsse Willy

    • hulrich

      Vielen Dank, Willy! Ist schön, wenn mal jemand antwortet und dann noch so positiv. Für weitere Fragen oder Kommentare stehe ich gerne zur Verfügung. Hans Ulrich

Ihr Feedback ist wertvoll

Sie haben Anregungen oder Bemerkungen zu meinen Texten? Schreiben Sie mir Ihren Kommentar. Falls Sie eine Antwort wünschen, vergessen Sie nicht, mir Ihre E-Mail-Adresse und Ihren Namen mitzuteilen. Vielen Dank!

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

* Pflichtangaben